Eine Klasse schafft sich ab

Die Geldjagd fordert ihre Opfer

Korruptionsuntersuchungsausschuss – Es ist nicht ganz korrekt, von den etablierten Politikern als Klasse zu sprechen. Obwohl ihre Zahl, wenn man alle Funktionsebenen vom Gemeinde- bis zum Nationalrat berücksichtigt, in die Tausende geht, handelt es sich bloß um eine schwankende Schicht der Gesellschaft. Angesichts der jüngsten Enthüllungen etwa im Korruptionsuntersuchungsausschuss scheint sie gerade im Begriff zu sein, sich selbst abzumontieren.

Von Lutz Holzinger, erschienen in der UHUDLA Ausgabe 97/2012

Die Hauptaufgabe der etablierten Parteien und Politiker ist es, den unaufhebbaren Gegensatz zwischen Kapital und Lohnarbeit beziehungsweise zwischen herrschender und unterdrückter Klasse zu verschleiern. Da diese schwierige Aufgabe sowohl nach Professionalisierung dieser Tätigkeit als auch nach Distanz von der sozialen Wirklichkeit verlangt, kann man unter Nachsicht aller Taxen von einer politischen Klasse sprechen, die immer schon ein Eigenleben entwickelt und damit einen eigenen Stellenwert erlangt hat.
In Zeiten der Globalisierung und der vermeintlichen Alternativlosigkeit der herrschenden Gesellschaftsordnung werden angesichts der Tendenz zum Sinken der Profitrate alle Posten, die für die Stabilisierung des Systems ausgegeben werden, auf ihre Zweckmäßigkeit überprüft. Im Zuge der strengen Spargesinnung, die den Politikern gegenwärtig von den Finanzmarktakteuren auferlegt wird, konnte es nicht ausbleiben, dass auch die Ausgaben auf die Goldwaage gelegt werden..

Reihenweise sind führende Politiker Lobbyisten auf den Leim gegangen

Insofern ist es weiter kein Wunder, dass jetzt über Indiskretionen Machenschaften führender Politiker und Politikerinnen aus nahezu sämtlichen politischen Parteien ruchbar geworden sind, die einen Korruptionsverdacht nähren. Dabei geht es in der Regel – die Blase um Karl-Heinz Grasser ausgenommen – weniger um persönliche Bereicherung als um Vorteilsannahme für die jeweilige Partei.
Dazu kommt der Verdacht auf „Anfütterung“, die Politiker hellhörig für die Erwartungen und Bedürfnisse von Unternehmen machen soll. Reihenweise sind führende Würdenträger Lobbyisten auf den Leim gegangen, die zur Kontaktoptimierung zu Reisen und Jagden oder Jagdreisen eingeladen haben. Wenn nun selbst dem Bundeskanzler das freizügige Schalten und Walten mit den Werbeetats von ASFINAG und ÖBB zugunsten des Boulevard vorgeworfen wird, steht die Welt, wie wir sie kennen, nicht mehr lang.
Die entscheidenden politischen Weichenstellungen im Rahmen der Europäischen Union fallen längst nicht mehr in den Nationalstaaten sondern in Brüssel und Straßburg. Wenn in Österreich immer wieder von der Einsparung des Bundesrates und/oder der Landtage die Rede ist, sobald die Kosten des politischen Systems diskutiert werden, sollte gleich weiter gegangen werden: Warum nicht die Organe der repräsentativen Demokratie auf die Gemeindebene, den Bundespräsidenten (mit einem kleinen, feinen Kabinett für die Beschickung der EU-Ratssitzungen) und die Europaabgeordneten beschränken?
Die Abschaffung von National- und Bundesrat sowie der Landtage mit allem, was dazugehört, würde eine massive Einsparung bringen. Darüber hinaus könnte die sündteure Sanierung des Parlamentsgebäudes erspart werden. Im Gegenzug schiene es zweckmäßig, die direkte Demokratie nach Schweizer Muster massiv auszubauen, um die Bevölkerung an für sie relevanten Entscheidungen zu beteiligen. Damit wäre eine der Ursachen für die Politikverdrossenheit und das Anwachsen der Nichtwähler beseitigt.
Mit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses, der sich der Korruption in der österreichischen Politik widmet, wurde ein neuer Höhepunkt in der Selbstausschaltung der politischen Klasse in Österreich erreicht. Die Grundvoraussetzungen für die Tätigkeit des Gremiums sind insofern fragwürdig, als vorausgesetzt wird, dass in Österreich Politik nach objektiven Interessen und nicht nach subjektiven Bedürfnissen gemacht wird. Statt der Orientierung auf sachliche Lösungen waren schon immer ausschließlich parteipolitische Gesichtspunkte ausschlaggebend – für die Lösung von Problemen, die Besetzung von Posten und die Formulierung von Gesetzen.
Man braucht nur an den Hohn zu denken, den Unterrichtsministerin Claudia Schmied anlässlich der definitiven Durchsetzung der Neuen Mittelschule als neues/altes Teilungsmodell im Schulwesen indirekt über die Kämpfer für die einheitliche Gesamtschule ausgegossen hat. Wer derartigen Klassenverrat übt, gehört rechtens mit nassen Fetzen davongejagt, auch wenn der SPÖ-Spitze nicht einmal zu dämmern scheint, was sie mit der Zustimmung zum ÖVP-Teilungsmodell nach der vierten Schulstufe den Betroffenen antut.

Im Sumpf der Selbstbereicherung von Politikern und Parteien

Was den Untersuchungsausschuss über die Korruption angeht, sind schon seine führenden Akteure ausgesprochene Lachnummern. Peter Pilz, mittlerweile vermutlich dienstältester Abgeordneter, wurde in das Gremium gewählt, als die Grünen das Rotationsprinzip für derartige Positionen festgeschrieben hatten. Obwohl er jeder Spur von Korruption nachgeht, die ihm zugetragen wird, ist er als Aufdeckungsspezialist ein Hiobsbotschafter mit geringer Wirkung.
Pilz profitiert allerdings von seinen Partnern im Ausschuss: Sie können ihm sachlich nicht das Wasser reichen und kommen aus Parteien, die selbst Dreck am Stecken haben, sofern sie nicht wie ÖVP-Fraktionsführer Werner Amon persönlich an Korruptionsdelikten beteiligt zu sein scheinen. Insgesamt gelingt es dieser „wilden“ Mischung, in der Bevölkerung den Eindruck zu verfestigen, dass die politische Klasse in Österreich sich aus hartnäckigen Nehmern zusammensetzt.
Dieses Phänomen ist der Tatsache geschuldet, dass nach der Privatisierung der verstaatlichten Industrie und der ursprünglich im Staats- und Gemeindebesitz befindlichen Großbanken neue Wege gefunden werden mussten, wie insbesondere die an Selbstbedienung gewohnten Regierungsparteien unter den neuen Verhältnissen zu Posten und Geld kommen können.
Nach der radikalen Entstaatlichung Ende der 80-er, Anfang der 90-er Jahre, die dann von Schwarz-Blau nach der Jahrtausendwende auf die Spitze getrieben wurde, begann Österreich zu einem Eldorado für PR-Fachleute, Politikberater und Lobbyisten zu werden. Diese Kräfte haben für die nötige Schmierung der Reibungspunkte zwischen Wirtschaft und Politik gesorgt.
Mit Peter Hochegger als Vertreter dieser Spezies geraten wir in einem weitläufigen Sumpf der Selbstbereicherung von Politikern und Parteien unter den Regierungen von Wolfgang Schüssel. Weil die Justiz mit der Aufarbeitung dieser „Ära“ nicht weiterkommt, wurde der Korruptions-Untersuchungsausschuss eingesetzt.
Damit hat die politische Klasse sich endgültig zur Gänze angepatzt. Denn auch die Grünen erwecken nicht mehr den Anschein, mit den anderen etablierten Parteien nicht in einem Boot zu sitzen. Zu deutlich ist ihren Führungsfiguren anzumerken, dass sie als einziges Ziel Regierungsbeteiligungen anstreben und dafür bereit sind, Dreck zu fressen, wie die Koalition mit der SPÖ in Wien und der ÖVP in Oberösterreich zeigt.
Von den bürgerlichen Medien wird jede Gelegenheit genützt, um die Parteienverdrossenheit der Bevölkerung auf die Spitze zu treiben. Wie Schwammerl nach einem warmen Sommerregen sprießen nun neue politische Gruppen aus dem Boden. Neben dem Import der Piratenpartei aus Deutschland scheinen eine Internetpartei und eine Reihe weiterer Spielarten im Kommen zu sein. Sie propagieren die Formen der direkten Demokratie und versalzen damit den etaplierten Parteien die Suppe.

Durch kleinbürgerlichen Radikalismus ist das Machtgefüge nicht in Gefahr

Zusätzlich machen Superreiche als potenzielle Zahlmeister einer neoliberalen Gruppierung von sich reden. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Manifestationen des seit den Krisen- und Umbruchperioden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts immer wiederkehrenden kleinbürgerlichen Radikalismus, der häufig strohfeuerartige Triumphe gefeiert hat. Jetzt kommen sie gerade recht, um die Wählerschaft zu zersprageln, ohne das bewährte Machtgefüge zu gefährden.
Allerdings ist damit zu rechnen, dass die herrschende Klasse darauf schaut, künftig die gesamte Politikproduktion billiger zu bekommen und – statt sie wie lohnintensive Fertigungen in die Dritte Welt zu verlegen – auf frisch gefangene Kräfte zurück zu greifen. Einsparpotenzial besteht sowohl bei den offiziellen und inoffiziellen Zuwendungen der „Wirtschaft“ als auch bei den öffentlichen Zuwendungen. Volle Transparenz der Parteienfinanzierung, wie die zu kurz kommenden Grünen sie fordern, heißt vermutlich, dass der Geldofen überhaupt erlischt.
Der Schriftsteller Heiner Müller bezeichnete es als Aufgabe der Kunst, die Wirklichkeit unmöglich zu machen. In der Sphäre der Parteipolitik hat der Korruptionsausschuss diese Aufgabe übernommen. Die notwendigen Veränderungen der Welt setzen hingegen die Rekonstruktion des Klassenhasses voraus. Dieser Hass wird gegenwärtig nur vom Kapital ausgeübt und ist den Unterdrückten samt dem Bewusstsein ihrer Lage abhanden gekommen.

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