»Go West by Bus« – es ist verdammt hart

Balkan
Hinterm Südbahnhof, wo der Balkan anfängt beginnt das 3 500 Kilometer Reiseabenteuer…

Europa der kreuz und der quer ■ Das sind zwei Tage und 3 500 Kilometer  Abenteuer n Fernreisen mit dem Bus ist was für Hungerleider, Werktätige und Tagelöhner, die der Arbeit nachfahren oder für »Verrückte«. Wien – Nice – Barcelona – Madrid – Lagos hin und zurück.

Ein 10.000 Kilometer langer Reisebericht in dreieinhalb Teilen: Teil II

Von Martin Wachter, veröffentlicht in der UHUDLA Ausgabe 81/2006   

Wien Erdberg, gegenüber der U 3 Station das Reisebüro von Euro Lines. »Eine Busfahrkarte von Wien nach Lagos«, lautet die Frage. »Einfach oder retour, bei retour gibt es 25 Prozent Ermäßigung«, lautet die Antwort der Frau hiner dem Schalter. Zur Erörterung. Lagos ist eine Kleinstadt, nichteinmal so groß wie Wiener Neustadt, und liegt gute 3 500 Kilometer entfernt von Wien an der Algarve im Süden Portugals.
Hin und zurück kostet 389,- Euro. Also ein »roter Riese« sollte sein Besitzverhältnis wechseln. »Wir dürfen keine 500er nehmen. Order von der Zentrale«, erfährt ein verdutzter Reisewilliger. Fängt ja schon gut an. Mittag war’s, ab ins Wirtshaus ums Eck. Nach dem Essen die rein rhetorische Frage, ob er einen Fünfhunderter wechseln kann. Da antwortet der Wirt des spärlich besuchten Beisls: »Um des Geld kannst gleich die ganze Hütte samt Inventar haben«    reisen_abfahrt
Geldwechselversuch am Kardinal Nagl Platz Erste Bank. »Wir sind eine Berater Bank und haben kein Geld«, erklärt der Angestellte des riesigen »Geldinstituts«. Wie gut dass es am anderen Eck eine BAWAG gibt. Die Leute standen damals Schlange um ihr Geld zu »retten«. Der Skandal um  die versenkten Karibik Milliarden der Bank war gerade aufgeflogen. Die lange Ouvertüre des Reiseberichts auch deshalb, weil der 53 Stundentrip quer durch Europa genau so mühevoll verlaufen sollte, wie die Er­stehung des Tickets.

20.15 Uhr Südbahnhof an der Mauer auf der Arsenal Seite. Fünf Personen warten auf den Bus, der aus Warschau kommend fahrplanmäßig bereits abfahren sollte. Die Frau im Euro Lines Büro hat vorgebaut und mitgeteilt, dass nix dabei ist, wenn der Bus um eine halbe oder ganze Stunde später kommt.
Der luxeriös ausgestattete Überlandbus ist fast voll besetzt kurz vor neun Uhr angekommen. Der Ge­päckraum ist ziemlich voll. Mit Umschlichten wird ein Platz für den Minicomputer und den dazugehörenden Flachbildschirm an einer Seitenwand geschaffen. Der Computer war der Anlass für die Entscheidung mit dem Bus zu fahren.

Ein Krautacker in Milano als Umstiegs-Knotenpunkt

22.00 Uhr Autobahn Rastplatz Markt Allhau. Der erste Halt einer langen kräfteraubenden Tour. Zuvor hatte der Koopilot des monströsen und überlangen Dreiachser Reisebuses der Marke Irizar Scania den Passagieren in polnisch das Prozedere der Reise erzählt. Alle zwei Stunden wird eine Autobahnraststelle für eine 15 bis 20 minütige Pause angefahren. Alle sechs Stunden am Tag und alle acht Stunden in der Nacht eine Rast von einer dreiviertel Stunde. Die Bustoilette sollte nach Möglichkeit nicht aufgesucht werden.
Wer mit dem Bus Europa quert sollte mindestens drei bis fünf Sprachen mehr oder weniger beherrschen. Sonst könnte es sein, dass Mann oder Frau nie am Ziel amkommt.  Ist auch für das Fensehvideoprogramm an Bord erforderlich. Auszug aus dem Hollywood Bildungsprogramm für Fernreisende mit dem Bus. Einen  Krokodil Dundee auf polnisch. Einen Agententhriller wo sich Männlein und Weiblein gegenseitig ständig in die Schnauze hauen auf französich. Dann ging es in spanisch synchronisiert mit einem verückten Känguruh weiter. Zum Abschluss gab es einen Film mit rassistischen Hintergrund und gegen die Todesstrafe und letztendlich hingerichteten Delinquenten auf portugiesisch.

6.30 Uhr Milano: ein freies geschottertes, unkrautbewuchertes Feld in der Größe eines Fußballfeldes. Ein Umsteigeknotenpunkt von Euro Lines. Der Fahrer unseres Busses bereitet auf einer kleinen Kaffee­maschine neben den Einstig warme Brühe für die Fahrgäste. Auf dem Busumschlagplatz gibt es kein Wasser und kein WC. Ein Café auf der gegnüberliegendenn Seite eines breiten Boulevards hat bereits geöffnet. Der Bus aus Sofia vom Balkan und Triest kommend ist schon da. Fehlt noch der Bus aus Rom und der kommt aus der ewigen Stadt mit einer ewigen  Verspätung. Die folgenden sechs Stunden bis nach Nice ist der Bus bis auf den letzten Platz besetzt.

14.30 Uhr Ankunft in Nice: Laut Fahrplanausdruck von Wien Erdberg wäre der Anschlussbus nach Spanien schon vor einer Stunde abgefahren. Mit mühsamen Russisch-Palaver erfahre ich von der polnischen Crew, dass sie überhaupt nichts wissen und nur zum Fahren des Busses da sind. Die große Wartehalle im Busterminal ist vergammelt. Kein Café, keine Imbissbude nur zwei Münztoilettanlagen von denen eine ausser Betrieb ist. Der Euro Lines Schalter ist verweist.  Um drei Uhr kommt angeblich jemand. Tatsächlich wird eine Passagierkarte für den »Frankreich – Spanien Express« ausgeteilt. Um vier Uhr soll’s weitergehen.
15.45 Uhr: Der Fahrer des Zweiländer-Express holt mich aus dem Café ausserhalb des Busterminals. »Wir fahren früher«, treibt er mich spanisch sprechend zur Eile an.
24.00 Uhr und nochetwas. Die zweite Nacht im Bus. Halbschlaf oder halbhin. Kreuzweh, Haxnweh und müde. Aus der Ferne vernehme ich die Stimme der Busbegleiterin.
»Passagiere nach Portugal umsteigen«  das auf spanisch mit Müh und Not verstanden. Aufgeweckt, aufgeschrekt aber sicher nicht munter. Ich bin der einzige der Umsteigen muß. Schlaftrunken, Computer, sprich drei Gepäckstücke zusammengekramt und irgendwie in den Bus nebenan verstaut. Weiss nicht wie spät es ist  und wo wir sind, aber der neue Bus hat eine gigantische Beinfreiheit.

Madrid, Affenhitze, Smog, Lärm und Gestank

14.30 Uhr Madrid Busterminal: riesig, unterirdisch, laut und stickig. Fast keine Verspätung bei der Ankunft. Makabererweise hält der Bus aus dem ich nächtens irgendwann und irgendwo umgestiegen bin neben meinen gegenwärtigen Fortbewegungsmittel. Eine blöde Bemerkung meinerseits quittieren die Busfahrer damit, dass dies halt eben so ist in Spanien. Der Bus aus dem französischen Tolouse ist auch »mutscho« spanisch unterwegs. Er kommt zweieinhalb Stunden später. Nach meiner zynischen Bemerkung wegen der Umsteigerei trau ich mich nicht ins Wirtshaus im Erdgeschoß also über den Busterminal mit mindestens 100 Busbuchten. Die schweren Dieselmotoren der stehenden Busse laufen am Stand. Im Konvoi drehen die ankommenden und abfahrenden Busse ihre Runden. Es raucht, stinkt und der Lärm ist unerträglich. Meine Lungen haben Schwerstarbeiterschicht.
21.15 Uhr. Nach genau 50 Stunden hält der Bus in Fereiras, letzte Station vor Faro. Der Fahrer erklärt mir, dass mich ein Taxi abholen und nach Lagos bringen wird. Ich bin zu müde um in auf portugiesiesch zu erklären, dass ich nach Faro mitfahren möchte, weil ich der Sache mit dem Taxi nicht traue.

Es ist fast finster und ich stehe mit meinen drei Gepäckstücken in der Pampas: ein Industriegebiet, kein Wirtshaus, keine Übernachtungsmöglichkeit, keine Menschenseele. 21.45 Uhr ein Taxi biegt mit quietschenden Reifen um die Ecke. Der Taxler will mir einen der noch drei verbliebenen Fahrscheine, die ich für die  Rückfahrt brauche, abknöpfen – als Be­weis für seinen Boss wie er sagt. Bekommt er aber nicht, sondern zehn Euro, weil er mich direkt vor der Pforte des Tourismusgeheges in Lagos abgesetzt hat. Eine halbe Stunde später sperre ich die Eingangstür meines Mietapartements auf: Kein Licht. Der Eigentümer hat die Stromrechnung nicht bezahlt. Keine Dusche, kein Bad. Kaltes Wasser wäre in meinem Zustand mit großer Sicherheit tödlich gewesen. Nur ab ins Bett.
In der Nacht träume ich davon, dass es den Euro noch nicht gibt und ich meine fünf Geldbörseln mit Schilling, Lire, Francs, Pesetas und Escudos  nicht finde.

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