Frucade oder Eierlikör

Phettberg_KurtVom Kommunismus zum Konsumismus – 20 Jahre Nette-Leit-Show ■  Es begann im Schütte-Lihotzky-Saal des Globus-Verlagshauses am Höchstädtplatz in Wien-Brigittenau vor mehr als 20 Jahren. Zwei Dutzend Aufführungen (davon 19 auch in den „ORF-Kunststücken“) gingen 1996 in der ehemaligen Werkskantine des Wiener Globus Verlages der KPÖ über die Bühne.
Von Karl Weidinger, erschienen in der UHUDLA Ausgabe 104/2016


Zum Bild: Hermes und Kurt, filmmäßige Annäherung mit einem Porträt „Hermes Phettberg, Elender“ im Jahre 2007.
Palm Zitat: „Ich habe mit Hermes ausgemacht, dass ich keinen Nachruf schreibe und keine Rede an seinem Grab halte.“

 

Kurt Palm (mit den Initialen K.P.) erinnert sich, 20 Jahre danach: „Wir waren auf der Suche nach unüblichen Spielstätten. Da passte der Höchstädtplatz sehr gut ins Konzept. Ich kannte den Globus aus meiner Zeit bei der Kommunistischen Partei. In der Druckerei habe ich schon ein Attwenger-Konzert abgehalten. Wir wollten damals schauen, ob wir die Leute da heraus in den Globus locken konnten.“

Kurt Palm, Jahrgang 1955, bezeichnet sich als Volksbildner. Dabei ist er nur ein Jahr älter als „der Globus“. Auf Hausnummer 3 wurde damals in der Wiener Brigittenau 1956, heute würde man sagen, ein großes Medienhaus eröffnet, das alle Stückerln spielte. Ein halbes Dutzend Zeitungsredaktionen im „Haupthaus”, die Tageszeitung „Volksstimme”-Redaktion im vierten Stock bis zur Rotationsdruckerpresse in der Druckhalle. Ein überdimensioniertes, modernes Flaggschiff, gestaltet vom vierköpfigen Architekten-Team um Margarete Schütte-Lihotzky.
Mit von der Planungpartie auch Fritz Weber der Vater von Drahdiwaberl Kapellmeister Stefan Weber. Bis zum Staatsvertrag verlief am Höchstädtplatz die russische Besatzungszone, ab dann herrschte der Globus über den Höchstädtplatz. Hier wurde bis 1990 die „Volksstimme“ verlegt, bis 1992 fungierte der Ort als Hauptquartier der KPÖ.

Was hält das Medium aus? Wie weit kann man gehen?

Am Anfang stand die Jahrhundert-Architektin Schütte-Lihotzky, die mit dem Jungrevolutionär Kurt Palm ein Tänzchen wagen wollte. „Sie hat sich eingebildet, ich wäre ein guter Tänzer. Da war sie schon über 100 Jahre alt. Und ich habe sie drei oder vier Mal besucht. Margarete war ja fast blind, und wir haben uns viel unterhalten über ihre Geschichte. Ich war ihr wahrscheinlich sympathisch, weshalb sie gesagt hat: Genosse Palm, willst du mit mir am 31. Dezember einen Walzer tanzen? Und ich habe gesagt: Das ist absurd. Erstens kann ich nicht tanzen, zweitens wäre das für dich lebensgefährlich. Stell dir vor, uns schmeißt’s hin und du stirbst in Folge dieses Sturzes, dann wäre ich schuld an deinem frühen Tod (lacht). Das hat sie eingesehen und so ist dieser Kelch an mir vorübergegangen.“
Gerne folgte sie Palms Ruf in den nach ihr benannten Speisesaal. „Ich habe ihr das erzählt mit unserer Show, und sie war bei einer der ersten Folgen im Publikum. Sie war eine geistig hellwache Person, wir haben sie begrüßt und sie wurde frenetisch gefeiert, sie hat auch einige Worte gesagt dort. Das war, glaube ich, ihr letzter Besuch im Speisesaal der KPÖ. Das war ein riesiger Saal der für die Werkskantine von 3.000 Beschäftigte im Globus benötigt wurde. Bei der ersten Folge der „Netten Leit Show hatten wir 200 Personen, zum Schluss ungefähr tausend.“
Der Moderator stand fest, wie auch das Format. „Der Hermes war ein Superprofi, als solcher einmalig. Mir ging es darum, ein eigenständiges Konstrukt zu entwerfen und auch zu produzieren. Und nachdem es ins Fernsehen gekommen ist, hat mich interessiert: Was hält das Medium aus, wie weit kann man gehen? Und kann man das Fernsehen mit den eigenen Waffen schlagen?“
Talkmaster Hermes Phettberg begrüßte drei Gäste. Am Ende jeder Show erhielt er einen Brief seines Regisseurs. Notfalls läutete das rote Telefon. „Es gab dieses rote Kindertelefon, was natürlich gut hineingepasst hat in das Haus des Zentralkomitees, weil da waren ja früher überall rote Telefone.“ Und das Politbüro des ZK der KPÖ war – wie auf Wolke 7 – im 7. und obersten Stock des Hauses am Höchstädtplatz.
Und natürlich die Eröffnungsfrage, die schon bald für die Sendung stand. „Die Frage ‚Frucade oder Eierlikör?‘ hat sich ergeben, weil der Hermes gemeint hat: wir müssen da einen konservativen Touch hineinkriegen. Und der Titel ist auch das Ergebnis eines Zufalls. Wir sind uns gegenüber gesessen und auf meinem Zettel stand: Phettbergs Late Night Show. Und er hat das verkehrt gelesen und gesagt: Das ist ein super Titel: Phettbergs Nette Leit Show.“

Ohne die Nette Leit Show würde es Frucade nicht mehr gehen

Frucade oder Eierlikör auf Lebenszeit? „Also ich finde beide Getränke grauslich. Ich bin damals nach Rosenheim in die Konzernzentrale gefahren und habe dort zwei ältere Herren kennengelernt. Die haben mir erzählt: sie haben das mitbekommen, aber leider werde die Marke eingestellt, weil völlig unrentabel.
Aber, Moment, habe ich gesagt: Wir beginnen doch gerade erst, und außerdem können wir das nicht gratis machen und verlangen 100.000 Deutsche Mark (50.000 Euro) für Produc t-placement. Die haben mich fragend angeschaut: Für eine Marke, die am Eingehen ist, wollen Sie Geld? Aber die haben instinktiv gespürt, welch Potenzial das hat.
Und die haben dann einen unfassbaren Umsatz gemacht. Insgesamt haben das sechs Millionen Leute gesehen und der Multiplikator in den Medien war x-fach. Kurz bevor die Herren in Pension gegangen sind, haben sie mir gesagt, dass das die Marke gerettet hat. Also ohne die Nette Leit Show würde es Frucade nicht mehr gehen.“
Und jetzt? Kurt Palms nächstes Buch trägt den Titel „Zwei Mädchen im Strandbad“ und soll 2016 erscheinen. Es handelt von fünf Jugendlichen in der Provinz, die nach Orientierung in ihrem Leben suchen. Die Aufbruchsstimmung der 1970er-Jahre schlägt sich nieder.
Auch über Hermes Phettberg gibt es Berichtenswertes. Er wurde sogar zur ORF-Gala der „Great Moments“ ins Hauptquartier auf den Küniglberg geladen. Mit seinem Rollator kämpfte er sich vor und eroberte Erinnerung um Erinnerung an seine glorreiche, aber vergangene Zeit.
Soeben ist die von Walter Fröhlich gezeichnete Graphic Novelle „Blue Jeans“ über den vom Leben gezeichneten Ex-Talkmaster erschienen. „Leben ist Leben wollen“, wird er darin zitiert und kann selbst kaum noch sprechen. Der in Jeans und Jeansboys vernarrte Gossen-Philosoph sendet Signale aus seinem Leidens-Sumpf.

Hermes hat trotz großen Handicaps den Lebensmut noch nicht verloren

Als Sobo Swobodniks Film „Der Papst ist kein Jeansboy“ anlief, pilgerte Hermes samt Rollator an 30 Tagen ins Kino am Spittelberg. Eine ähnliche Annäherung machte Palm bereits mit seinem Porträt „Hermes Phettberg, Elender“ im Jahre 2007. Beide machen sich Gedanken. „Ich habe mit Hermes ausgemacht, dass ich keinen Nachruf schreibe und keine Rede an seinem Grab halte. Ich war sehr beruhigt, dass das auch sein Wunsch ist.“
Kurt Palm bewundert den starken Willen seines Weggefährten, der durch Schlaganfälle gehandicapped ist, aber den Lebensmut nicht verloren hat. „Der    Hermes ist immer aktiv. Wir telefonieren, es ist sehr schwer ihn zu verstehen. Er sagt immer: Ich will leben, leben, leben. Das versucht er täglich umzusetzen, obwohl das extrem schwierig ist. Er wohnt im       3. Stock ohne Lift. Er muss sich da immer rauf und runter schleppen. Er versucht möglichst viel zu machen, er ist in Wien viel mehr unterwegs als ich. Ich hätte wahrscheinlich den Löffel schon längst abgegeben.“

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