Schuften in die Frühpension

Rudi_Port12 Stunden Arbeitstag nur mit 30 Stundenwoche ■ Die österreichische schwarzblaue Bundesregierung hat nicht Arbeitszeitflexibilisierung sondern eine trickreiche Verlängerung der Arbeitszeit vor. Der Arbeitsmediziner Rudolf Karazman: „Ohne längere Erholungszeit sind frühere Arbeitsunfähigkeit, längere Krankenstände, steigende Gesundheitskosten und Frühpensionierungen vorprogrammiert”.

Von Lenz Piringer

Was die Regierung von Sebastian Kurz und Heinz Ch. Strache vorhat, ist nicht im Interesse der werktätigen Menschen in Österreich. Rudolf Karazman sieht ganz andere Beweggründe.

Er fordert von den politischen Entscheidungsträgern, die Tragweite einer möglichen Entscheidung in ihrer Gesamtheit zu beurteilen:
„Als Facharzt für Arbeitsmedizin, Firmengründer und einstigen Leiter eines mittelgroßen Betriebs habe ich nicht den Eindruck, dass den sozialen und arbeitsmedizinischen Aspekten genügend Rechnung getragen wird. Die gegenwärtige Gestaltung des Themas „Arbeitszeitflexibilisierung“ ist nicht nachhaltig, weil die menschliche Verausgabung mit der Arbeitsdauer steigt. Das heißt, die Ermüdung ist zwischen 6. und 7. Stunde höher als zwischen der 3. und 4. Stunde Arbeit. Die Beschäftigten schuften sich quasi in die Frühpension. Ich prognostiziere, dass der wirtschaftliche Vorteil der ausgedehnten Arbeitszeiten durch die verringerte Produktivität der zehnten oder 12. Arbeitsstunde zunichte gemacht wird – von den volkswirtschaftlichen Kosten einmal ganz abgesehen”.
Eine echte Arbeitszeit-Flexibilisierung braucht Wahlmöglichkeiten für die Mitarbeiter. Heute ist die Mehrheit der Arbeitenden über 40 Jahre. Älterwerden heißt sozial und kognitiv leistungsfähiger zu werden, aber die körperlichen Ressourcen gehen ab dem 25. Lebensjahr zurück. Daher muss auch die Arbeitszeit sinken, die tägliche wie die wöchentliche, insbesondere die Nachtarbeit.

Wenn schon 12-Stunden Arbeitstag, dann auch eine 30-Stunden-Woche

Nach Rudolf Karazmans Vorstellung ist eine Ausweitung der Arbeitszeit nach Möglichkeit zu verhindern, weil durch Rationalisierung und Optimierung die Arbeitsintensität schon beim bisherigen Arbeitstag an der Grenze ist. Die hohe Rate an Burn Out belegt dies. Eine nicht ausbalancierte Ausweitung des Arbeitstages erhöht das Risiko von Krankheit und Frühpension. In vielen Berufen ist eine kürzere Dienstzeit anzuraten, zum Beispiel bei Intensiv-Krankenpflege, Nachtarbeit, Bus-, Tram- und U-BahnFahrerInnen, den LehrerInnen und und und.
Die psychobiologische Verausgabung steigt mit der Dauer des Arbeitsalltags. Eine Ausweitung des Arbeitstags verlangt daher deutlich mehr Erholungszeit als Teil der sozial wirksamen Arbeitszeit. Eine Ausweitung des Arbeitstags muss durch gleichwertigen Zeitausgleich kompensiert werden. Regelmäßige 12-Stunden-Dienste sollten mit einer 30 Stunden Arbeitswoche verbunden werden. In die sozial wirksame Arbeitszeit sind Wegzeit, Auf- und Abrüstzeit, Vorbereitung etc. miteinzurechnen, damit das wahre Ausmaß zeitlicher Anstrengung realistisch berechnet und genügend Regenerationszeit geplant werden kann.
„Es braucht ein humanökologisches Monitoring des Arbeitsvermögens und der gesundheitlichen Qualität der Arbeitsprozesse, damit chronische Fehlanforderung und Stress, Krankheit, Frühpensionen und Produktivitätsverluste vermieden werden. Insbesondere Arbeitszeit-Veränderungen brauchen Mitsprache, Bewusstseinsbildung und Zustimmung sowie im ersten Jahr engere Evaluierung, um für Mitarbeiter und Betrieb gute Wege zu ebenen”, verweist der Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema auf seine Erfahrungen mit und in der Arbeitswelt.

Einen Index, den sich die Konzern- und Personalchefs zu Herzen nehmen sollten

Rudolf Karazman begleitete viele Arbeitszeitverkürzungs-Projeke, die mit der Schaffung von mehreren hundert zusätzlichen Arbeitsplätzen verbunden war. Diese Arbeitszeit-Projekte wurden mit Zustimmung und Mitgestaltung der Belegschaft verwirklicht (Informationen unter: http://www.arbeitundalter.at). Die Wirkungen waren weniger Stress, Senkung von Krankenständen, Zeit für Wissensmanagement und höhere Produktivität.
Dazu zählen beispielsweise die Voest-alpine/Stahl Linz, die Agromelamin Linz (heute AMI Linz), die Polyfelt Gesosynthetics, die Nettingsdorfer Papierfabrik, den KAV Krankenanstaltenverbund Wien und die Münchner Verkehrsbetriebe um nur einige aufzuzählen.
Der von Rudolf gemeinsam mit seiner Frau Inge Karazman-Morawetz entwickelte Human Work Index HWI misst durch Befragung der Mitarbeiter subjektiv das Arbeitsvermögen und das Führungsvermögen in einem Betrieb. Mit seiner Hilfe lassen sich Prognosen für die Verbleibswahrscheinlichkeit von Mitarbeitern treffen und Perspektiven für das Umsatzwachstum schätzen. Basis des Indikators sind 30 Fragen, deren Antworten durch einen Algorithmus auf den Human Work Index übertragen werden.
Der vom den Karazmans erarbeitete Algorithmus ist das Ergebnis von rund 100 betrieblichen Projekten, in 20 Jahren und auf Datenbasis von über 100.000 Beschäftigten. Mit Hilfe des HWI können Aussagen über Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität der Belegschaftsmitglieder getroffen werden. Diese Forschungsarbeit ist der erste Human-Indikator der Arbeitswelt.

Prof. Dr. Rudolf Karazman,

ist Facharzt für Psychiatrie & Neurologie, Psychotherapeut, Arzt für Arbeitsmedizin und IBG-Gründer. Er ist Jahrgang 1955, entstammt einer burgenländisch kroatischen Bauernfamilie aus Nikitsch. Für mehrere Bücher zeichnet er als Autor. Der vielseitige Wissenschafter hat einen Faible für Musik. Er spielte in den Anfangsjahren der „Drahdiwaberl” bei Kapellmeister Stefan Weber das Saxophon, selbiges Instrument bei der Politkult-Band „Bolschoi Beat” mit Georg Siegl und Erwin Schuh.

http://www.ibg.co.at/
Die IBG ist mit an die 200 MitarbeiterInnen und fünf Standorten das führende Unternehmen für Förderung und Prävention im Bereich betriebliches Gesundheitsmanagement in Österreich.

Human Quality Management

… ist ein Ansatz strategischer Unternehmensführung und Zusammenarbeit, der die Mitarbeiter als Quelle der Wertschöpfung versteht. Er entspringt den sozialen, personalen, psychischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten der Menschen und der menschlichen Arbeit.
Rudi_BuchEine humanökologische Führung ermöglicht beste Leistung durch beste Entwicklung von und zwischen allen Mitarbeitern, weil menschengerechte Kultur, Arbeitsorganisation und Einstellungen das Wesen der menschlichen Existenz, die personale Produktivität, anerkennen, entwickeln und erhalten.

Karazman, Rudolf
Human Quality Management
Menschengerechte Unternehmensführung
Springer GablerVerlag, Hardcover
ISBN 978-3-662-45463-3
Seiten 240, Preis: 29,99

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