Der finale Mulatschag

Webermoni
Das Oberhaupt der Drahdiwaberl-Familie mit Tochter Moni Weber vor dem letzten Konzert 2009 im Gasometer und im Kreise seiner Familie. © Karl Weidinger

In memoriam Stefan Weber ■ Nach langer Parkinson bedingter Krankheit ist der vielseitige Künstler, Kapellmeister von Drahdiwaberl sowie der Präsident und Herausgeber des UHUDLA im 71. Lebensjahr verstorben. Stefan Weber war quasi ein UHUDLA Mitarbeiter der 1. Stunde.

Viele UHUDLA Titelseiten und zahlreiche Cartoons und Collagen stammten aus Webers Werkstatt. Über eine Dekade an Jahren bereicherte die älteste und rebellischste Straßenzeitung Österreichs eine „Drahdiwaberl”-Beilage

Ein Nachruf aus der Drahdiwaberl-Familie: Karl Weidinger, Akteur seit 1995, erinnert sich

Einmal noch, ein letztes Konzert, 2009 im Gasometer, eins noch am Karlsplatz 2013. Seine Memoiren wollte er nicht schreiben lassen (von mir). Weil er sagte, dass das Projekt Drahdiwaberl nie zuende sein könnte. Auf Zappa, Frank Zappa, ist er gestanden, später Schockrocker Marilyn Manson. Auf der Bühne wollte er sterben. Am besten Burgtheater, mindestens. Nix ist eingetreten. Gestorben wird daheim, das lehrt uns die Rockgeschichte. Und auch nicht unbedingt in glamorösen Verhältnissen.

Wie kam ich zu der Ehre, hier vor Ort bei den Drahdiwaberln dabei zu sein? Schuld war der UHUDLA.

Rückblende. Der in die Wand genagelte Kalender zeigt den Juni 1996. Ein stinknormaler Dienstag soweit. Open-air zum Schulschluss in der Arena. Stefan Weber noch Lehrer und weit entfernt von seiner Frühpensionierung wegen Morbus Parkinson betritt den Raum zwecks Backstage-Besprechung. Wirkt, als wäre er am meisten happy über die kommenden Ferien. Unter dem Arm hat er kunstvoll gestaltete Programmzettel, die er zuvor am Schulkopierer vervielfältigt hat. Bei seinem klassenkämpferischen Mitmach-Theater wirken regelmäßig bis zu 50 Akteur_innen mit, und da ist der reibungslose Ablauf (har-har) im kontrollierten Chaos wichtig.

Überhaupt Stefan Weber: Kuhbuben-Böcke, Gang wie ein Cowboy, nur das Pferd fehlt, als er sich im Zentrum der Ansammlung im angegammelten Hinterbühnenbereich aufbaut. Die Gürtelschnalle groß wie das Staatswappen. Mister Drahdiwaberl himself wirft sich in Pose, räuspert sich deutlich vernehmbar und schraubt seine Stimmlage um eine Oktave höher. Krächzend eröffnet er die nachmittägliche Einsatzbesprechung: „Bitte Herrschaften, absolutes Scheiss-, Brunz- und Wichsverbot. Jeder, der jetz’ no muass, dearf des nur mehr auf da Bühne!“ 
Das sagt er regelmäßig vorher, der Herr Professor, zu dem jeder nur „Stefan“ sagt. Das bevorstehende Konzert wird – wieder einmal – als das „letzte“ angekündigt, obwohl es im vorhergehenden wie auch im drauffolgenden Jahr ebenfalls ein „letztes“ Konzert gegeben hat und geben wird. 2009 wird es dann Wahrheit im Gasometer, final curtain, 2013 am Karlsplatz wird er dann zum wirklich letzen Mal auf die Bühne und vors Mikrofon gezerrt.

Präsident Weber fragte mich bei einer Veranstaltung im Metropol, 1995: „Hearst, wüllst net mitmochen bei uns, bei Drahdiwaberl?“ – „Jo, oba 15 Jahre zu spät“, sagte ich. Und machte mit, fortan bis zum bitteren Ende.
Die Feindbilder holzschnittartig vordefiniert: Adel und Kirche, Parteien und Bonzen, Spießer und Bullenschweine sowie Nazis, Nazis, Nazis in allen Ausprägungen. Ende der 1990er-Jahre bekommt er seine Parkinson-Diagnose. Damit beginnt die Reihe der „letzten“ Konzerte. Den 70. Geburtstag, 2016, nimmt der Jubilar im Rollwagerl auf der Schmelz entgegen. Alles genau beobachtend, aber nicht mehr reagierend, außer mit Blicken. Dafür hatte er in weiser Voraussicht seinen „70er“ schon 2006 gefeiert, als er erst 60 Jahre alt war. Mit einem Demo-Umzug der Drahdiwaberl-Familie durch Mariahilf, zum Lokal „Andino“. Das beschreibt auch seine feine Selbstironie. Den Parkinson konnte er nicht abschütteln. Die Krankheit beugte den Unbeugsamen. Eine Autorität war er nie. Respektlose Schüler riefen bei ihm zuhause an oder nannten seine Adresse, wurden sie beim Schwarzfahren erwischt. Darüber sah er gnädig hinweg. Er wirkte nie verbittert oder gar despotisch. Ein Links-Pädagoge im besten Sinn, der zu wirklich allen freundlich war.

Wiedereinmal ein Letztes Drahdiwaberl Konzert im Gasometer schon im Jahre 2009 am 5. Dezember

Sammelpunkt ab 16 Uhr. Besprechung 18 Uhr. Backstage bilden die Garderoben eine Abgeschlossenheit, belagert mit Requisiten: Dildos, Tiermasken, Fleisch, Innereien, Theaterblut. Und Beuschl und Blunzen. Auch Hammer und Sichel immer griffbereit für Stefan Weber, den verrückten Professor vom Waltergymnasium (Kollege von Ernst Jandl seinerzeit). Ein großer Erzieher mit seinem klassenkämpferischen Mitmach-Theater. Fäkalien und Exkremente, Kotze (oft) und Sperma (nicht selten) steuerten die Akteur_innen selber bei. Ein gelungenes Konzert mit Gage, auch mit (warmen) Buffet bis Mitternacht. Gelungen, auch weil niemand mehr erkennen konnte, was echt und was fake war. Webers Auszucker inklusive.

Hektik ab 19 Uhr. Securities wuseln herum, bereiten sich auf den Ansturm und den Chaos-Abend vor. Im Aufgangsbereich zur Bühne großes Gedränge. Fotografen gehen in Stellung. Sniper für Foto und Video. Technik wird in Plastik eingepackt wie vor einem Unwetter. Jeder Auftritt beginnt mit der Prozession, dem Einmarsch der Akteur_innen. Erste Feindberührung. Kontakt mit den Fans. Platsch! Schüttbilder wie von Nitsch. Viel gespendetes Bier, um es den Leuten auf der Bühne als infantile Form der Zuneigung angedeihen zu lassen. Choreographie des Wahnsinns. „Aktionismus pur“, wie es der Herr Professor schon seit Wiener Aktionismus-Zeiten predigte, obwohl das Chaos immer unkalkulierbar blieb – das haben Chaosse so an sich.

Vor Konzertbeginn begeht Stefan Weber sein kleines Ritual. Schon (bühnen-)fertig verharrt er hinter der mannshohen Bassbox vom Petz Fredl und lugt durch den Spalt ins Publikum. Dann dreht er seinen, von Szenefriseur Erich Joham (der heute als „Bürgermeister Häupl“ auf der Bühne sein wird) schwarz gestriegelten Schnauzbart wie ein Gesetzloser in meine Richtung. „Warum tua i ma des an?“, sagt er. „Des denk i ma jedesmal. Na guat, heit is eh ’s letzte Konzert!“

Klassenkampf als Mitmach-Theater, mit reger Fanbeteiligung und Anteilahme aus dem Publikum

Auftritt! Einmarsch. Erster kleiner Mulatschag. Stefan Weber erhält eine Goldene Schallplatte, Nadja uriniert darauf, schüttet die im Rahmen verbliebene Pisse in die ersten Reihen des lechzenden Publikums. Die „Fanbeteiligung“ immer ein Problem. Abgefeuerte Wurfgeschosse treten in den Luftraum, geschmissene Pfandbecher nähern sich in asymptotischen Flugbahnen. Das „Grunzerl ausn Graberl, Drahdiwaberl“ als klassenkämpferisches Mitmach-Theater, bei dem das Publikum die Botschaft, die Message, nicht immer richtig verstanden hat. Manchmal wurde zuviel mitgegrölt und „mitgefeiert“ beim Nazi-Theater, bei der Werwolfromantik, beim ausgeflippten Lodenfreak, beim Supersherriff, beim finalen Mulatschag.

Nach „McDonalds Massaker“ und „Fresst die Reichen“ weist der kunstvoll gestaltete Zettel noch etwas durchaus Übliches aus. Nämlich „Ganz Wien“. Natürlich durfte Falco immer mitmachen bei Drahdiwaberl, das war Ehrensache, und tat es auch bei fast jedem Auftritt, so lange er noch lebte. Hatte den Anschein, als wäre Drahdiwaberl immer sein Basislager geblieben. Und diese eine, ganz besondere Nummer hatte die Band jederzeit drauf. Damit hatte sich Falco von Beginn an – während der Umziehpausen des Professors – in den Vordergrund gespielt. Anders als andere Wegbegleiter aus der Frühzeit des Falken stilisierte sich Weber nie als dessen Entdecker, ganz im Gegenteil: Er verarschte sich selber damit. Als „Spiritus Rector“ einer Truppe von ausgeflippten Freaks, stand er diesen zwar vor, aber spielte sich nie als Anführer auf. Drahdiwaberl lebte vom Kollektiv und war eine Famile. Mit vorlauten Strebern und leisen Soziopathen, ganz normal eigentlich.

Weber wurde 2003 vor Gericht gezerrt, weil er im Rabenhof mit seinen 100 Jahre alten Colts auftrat. Vor Gericht rechtfertigt sich Weber wahrheitsgemäß, dass er beim Lied „Supersheriff“ seit Jahrzehnten damit herumballert. Freispruch. Zur (letzten) Opernballdemo 2002 habe ich ihn vor der Bushaltestelle 59A/14A aufgegabelt und zum Museumsquartier gefahren. Den Gitarristen von Guns N‘ Roses, Gilby Clark, fragte ich in Markt Allhau bei einem Festival mit Drahdiwaberl, als dieser als interessierter Zaungast am Bühenrand stand, ob er jemals schon sowas gesehen hätte. Er verneinte und gab mir 2 Gitarrenplektrons von ihm.

 Skandale und Provokationen fand Weber spannend und ein „Exzess“ war immer ein krönenden Abschluss

Was Drahdiwaberl über 40 Jahre (von 1969 bis 2009) auf der Bühne abhielt, ist legendär. Jahre und Jahrzehnte später habe ich einen Haufen Diskussionen geführt, ob und wie „sexistisch“, „frauenfeindlich“ wohl Drahdiwaberl – trotz gegenteiliger Intention – gewesen sei.(„Heavy Metal Holocaust“). Mit „Lonely“ war er sogar in der Hitparade, auch ein Widerspruch. Die Nummer bildet den Auftakt zum finalen „Mulatschag Exzess“ als krönenden Abschluss jedes Konzerts. Viele Jünglinge kamen nur deswegen, um ihr erotisches Sparguthaben mit diesen Exzessen von nackten Leibern aufzufüllen.

Der wirklich letzte Auftritt dann am 11. Mai 2013 am Wiener Karlsplatz. Aber das war nicht mehr anzuschauen, bei aller Liebe und Treue. Die Burgtheaterbühne wurde von anderen angekotzt und zugekotet (Johann Kresnik). Die letzten Jahre verbrachte Weber in häuslicher 24-Stundenpflege, wenig glamorös. Harald Huto, der Zeremonienmeister, führt mit Mulatschag TV (bei Okto) das Werk des Professors fort und fördert auch viele subversive Musikgruppen. Hier könnte das Projekt Drahdiwaberl weiter bestehen bleiben – nicht nur in der Rockgeschichte. Rest in Mulatschag, Professor Stefan Weber.

3 Gedanken zu “Der finale Mulatschag

  1. Hermes Phettberg, der am Begräbnis war: „In der Verbundenheit liegt das Familiäre! Die Musikgruppe Drahdiwaberl bestand de facto aus Jeansboys, denke ich, und wenn die Nacht lang wurde, begannen die Band-Leute einander auszugreifen, weil sie einander spüren wollen, Menschen wollen einander berühren. Ich glaube, die Drahdiwaberl hatten ständig Bluejeans in Griffweite! Wird Stefan Weber jetzt in Bluejeans ins Grab gelegt werden?“
    Jo stimmt, er wurde in Westernhelden-Panier, mit seinen Colts – als Jeansboy – ins Graberl gelegt. So ist das Leben. Oder das Sterben.

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