Verändere die Welt, denn sie braucht es

Lutz
Heinz R. Unger mit UHUDLA Redakteur Lutz Holzinger. Foto Schuh

Heinz R. Ungers Dichtung von der Wahrheit Vor 40 Jahren wurde die „Proletenpassion“ von Heinz Rudolf Unger und den Schmetterlingen im Rahmen der Arena der Wiener Festwochen mit riesigem Erfolg uraufgeführt. Auf die letzte Vorstellung folgte die Besetzung des Geländes des Auslandsschlachthofes in St. Marx. Die Aktion startete, indem das Gros der Zuschauer, unter ihnen zahlreiche Kunstschaffende, das Gelände nicht verließ.

Wegen dieser Dokumentation trafen wir Heinz R Unger, den Autor des stofflich und technisch einzigartigen Werks, das einen historischen Bilderbogen aus dem Blickwinkel der Unterdrückten von den Bauernkriegen bis zur Oktober­revolution und darüber hinaus bietet, zu einem Gespräch im Café Bräunerhof.


Heinz R. Unger erzählte, dass er am Weg zu dem Treffen in der Wiener Dorotheergasse in der Auslage des Musikhauses Toblinger eine CD der „Proletenpassion“ gesehen habe. Mit Verwunderung stellte der Autor fest, dass dieser Titel unverwüstlich zu sein scheint und in einer Zeit noch verkauft wird, in der die Voraussetzungen für die Ent­stehung eines derartigen Werks völlig fehlen.

Heute gibt es selbst für bloß inhaltlich orientierte Lieder nicht nur keine Sendeplätze in den Rundfunkstationen, sondern auch ein interessiertes Pub­likums als Voraussetzung dafür, habe sich weitgehend in Luft aufgelöst.
Unger arbeitet zwar weiter auf dem Gebiet und versorgt ehemalige Mile­stones und Schmetterlinge Akteurin Beatrix Neundlinger und ihre Band „Die geringfügig Beschäftigten“ mit zeitnahen Texten. Über Abspielstätten wie Kulisse, Rote Bar oder Andino käme man damit heute in Wien jedoch nicht hinaus.

Als Entstehungszeit der „Proleten­passion“ nennt Heinz R. Unger die Jahre 1974 bis 1976. Er konnte sich die verhältnismäßig lange Arbeitszeit leisten, weil ihm die vorhergehende Zusam­menarbeit mit den Milestones, der Vorgänger Band der Schmetterlinge weiter ausreichend Tantiemen einbrachte.
Dieser heimischen Rockgruppe war es gelungen, mit Texten Ungers das Tabu zu brechen, wonach zu dieser Musik nur Englisch gesungen werde dürfe. Als Gradmesser des Erfolgs kann ein – auf Anhieb erzielter – 4. Platz im europäischen Songcontest gelten.

„Ich musste immer wieder höllisch aufpassen, dass mir keine Pekingoper unter die Weste gejubelt wurde.“

Unger hat die „Proletenpassion“ mit großem Zeitaufwand auf kollektiver Basis erarbeitet. Er spricht von zwei Jahren Selbstausbeutung, immer größeren Ar­beitskreisen und zunehmenden Frakti­ons­kämpfen. Die letzte Verantwortung für die Texte ließ er sich nicht nehmen. Sie lag beim Autor und für die Musik bei den Schmetterlingen.

Für die Entwicklung diversen Zeit­abschnitte wurden eigene Arbeitsgruppen gebildet. An ihnen nahmen neben Unger und den Mitgliedern der Musikgruppe zahlreiche politisch Interessierte teil, unter ihnen profilierte Intellektuelle wie Helene Maimann oder Robert Schindel aus dem Kreis der maoistischen MLS. Der Autor dazu: „Ich musste immer wieder höllisch aufpassen, dass mir keine Pekingoper unter die Weste gejubelt wurde.“

Sieht man sich die Aufarbeitung der historischen Erfahrungen aus dem Blickwinkel der Unterdrückten in der „Proletenpassion“ genauer an , dann sind Stationen wie Bauernkriege, 30-jährige Krieg, Große Französische Revolution, Pariser Commune oder Oktober­re­volution ausgezeichnet gelungen.

Im Gespräch mit dem UHUDLA machte Unger darauf aufmerksam, dass die unmittelbare Gegenwart in dem mitunter als „Rockoper“ bezeichneten Werk ausgespart wurde. Das sei notwendig gewesen, weil bei diesen Themen kein tragfähiger Kompromiss zwischen Autor und Musikgruppe zu Stande kam.

Begonnen hat dieses Projekt laut Unger zunächst aufgrund der Absicht der Schmetterlinge, „mit der Matthäus-Passion etwas anzufangen“. Zunächst habe er monatelang Bach gehört. Im Laufe der Auseinandersetzung mit dem Stoff sei allerdings nur der Begriff Passion im Titel übrig geblieben.

Der Erfolg des Werks, der bis heute anhält, und das nun eine neue Generati­on anzusprechen beginnt, hat sich nicht nur in den ausverkauften Vorstellungen am Schlachthof, sondern vor allem in ihrer Funktion als Kata­lysator der Arena-Besetzung gezeigt. Der Brechtsche Im­perativ „Verändere, die Welt, sie braucht es!“ ist dermaßen massiv über die Rampe gekommen, dass ein für österreichische Verhältnisse einzigartiger Emanzipations­prozess ausgelöst wurde. In der Arena ging es um ein Modell selbst bestimmter und selbst verwalteter Lebens-, Kultur- und Freizeitgestaltung, das immerhin mehr als zwei Monate praktiziert wurde.

Den Arena-AktivistInnen, aus Menschen quer durch den linken „Gemüsegarten“, ge­lang es, die Besetzung aufrecht zu erhalten

Die Arena-Besetzung war ein längst wieder geschlossenes „Zeitfenster“, in dem sich eine Hegemonie fortschrittlicher Einstellungen abzeichnete. Das galt für alle lebendigen und innovativen Strömungen in der Kunst und eine links von der Sozialdemokratie angesiedelte politische Einstellung der Intelligenz, die sich mangels geeignetem Kristallisations­punkt nie in entsprechende Wahlergeb­nisse niederschlug.

Den Aktivisten, die sich aus Menschen quer durch den linken „Gemüsegarten“ zusammen setzten, ge­lang es immerhin, die Besetzung weit länger als erwartet aufrecht zu erhalten.
Heinz R. Ungers Verhältnis zur „Pr­o­letenpassion“ ist ambivalent. Offen­sichtlich freut er sich darüber, dass ihm so etwas wie ein Longseller geglückt ist. Weniger glücklich ist er über die Pun­zierung, die ihm das Werk eingetragen hat. Beispielsweise warnte die „Neue Züricher Zeitung“ in einem Besprech- ung von Ungers jüngstem Gedichtband „In der verkehrten Welt“ vor dem Autor als „Lyriker mit linker Schlagseite“.
Lutz Holzinger

Kommentar verfassen