Sacklpicka, KAS und Haflinga

Mittersteig
 Justizanstalt Mittersteig. © Karl Weidinger

Knastarbeit und Häfn-Alltag ■ “Sacklpicka” bezeichnet einen Sträfling, galt doch das Tütenkleben lange Zeit als Arbeitstherapie im Häfn. Früher klebten die Papierstanitzel Häftlinge, im Jargon „Haflinga“ genannt.

Eine kleine Wiener Häfn-Tour
Von Karl Weidinger erschienen in der UHUDLA Ausgabe 110 / 2019

Ein „Sacklpicka“ sitzt im Häfn, in einer Justizanstalt, ein, bewacht von den KAS, abgekürzt ursprünglich für die „kaiserlichen Arrestantenschließer“.

Als Möglichkeit zum Geldverdienen wurden einfache Tätigkeiten zur Bespaßung der Insassen. So entstand das Kleben von Papiersäckchen, was zu einer Win-Win-Situation für beide Seiten wurde. Aufenthalt im Freien steht einmal pro Tag eine Stunde lang zu. Eine willkommene Gelegenheit, den Haftraum zu verlassen, bieten noch die unterschiedlichen Tätigkeiten als Hausarbeiter, früher Sackl picken. Strafgefangene sind in Österreich zur Arbeit verpflichtet, wenn sie physisch und psychisch dazu in der Lage sind. U-Häftlinge können mit Zustimmung arbeiten.

Der größte Knast in Wien ist das „1er-Landl“, die „Wickenburg“, gleich hinter dem Grauen Haus an der Zweierlinie in Wien-Josefstadt. Halb so belegt ist das Schloss Kaiserebersdorf in Simmering. Beliebt auch das „Zehnerl“ in der Hardtmuthgasse in Wien Favoriten, das eine Sonderanstalt wie der „Mittersteig“ ist. Franz Blaha kennt alle vier Justizanstalten in der Bundeshauptstadt und auch den Häfnalltag sowie die Arbeitsmöglichkeiten hinter Gittern.

Franz Blaha hat schon etwas Zeit hinter Gittern verbracht – freiwillig. Seine Schreibwerkstätten mit Häftlingen und sozial Geächteten begannen im legendären salon UHUDLA. Sie sind vielen Menschen in guter Erinnerung.

JA Wien-Favoriten, Dienststelle 053, 1100 Wien, Hardtmuthgasse 42

Der Zutritt erfolgt übers Wachzimmer. Vor Betreten müssen Waffen aller Art sowie Mobiltelefone abgegeben werden, sagt die Hausordnung. Zur Verwahrung der Gegenstände stehen Schließfächer zur Verfügung. Die Münze wird bei Räumen des Fachs zurückgegeben.

Das „Zehnerl“ hat einen Behandlungsauftrag für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher. Die Haftanstalt für Drogenentzug ist begehrt, und die 119 Haftplätze sind ausgebucht und vorreserviert. Eine Sonderanstalt wie auch der „Mittersteig“ in Wien-Margareten, wo der gefürchtete Maßnahmenvollzug (laut § 21) zum Einsatz kommt. Die Zahl der Einweisungen ist stark im Steigen, eine Zunahme um 30 Prozent gab’s seit 2016.
Noch gibt es sie, die „KAS“, die Kaiserlichen Arrestantenschließer und die Vollzugsstörer auf der anderen Seite der Zellentür. KAS gegen Haflinga: 187 Übergriffe auf die Justizwache sind 2017 verübt worden. Eine spezielle Einsatztruppe versieht Dienst in voller Montur und in steter Bereitschaft, um in Fünfer-Teams mit Schlagstock, Schild und Capsaicin-Reizgasspray notfalls vorzugehen. Schusswaffen sind im Gesperre verboten. Der Elektroschock-Taser hat in Österreich (noch) Menschenrechtsvorbehalt.

JA Mittersteig, Dienststelle 055, 1050 Wien, Mittersteig 25

Die Justizanstalt Wien-Mittersteig (Bild unten) ist für die Unterbringung von männlichen geistig abnormen zurechnungsfähigen Rechtsbrechern zuständig. Das Gebäude wurde 1908 im historischen Heimatstil erbaut. Früher hießen die Justizanstalten noch „Zucht- oder Irrenhäuser“, aber die Formulierung „geistig abnormer Rechtsbrecher“ ist geblieben.

Die Belagskapazität beläuft sich auf insgesamt 149, davon 93 in der Stamm-anstalt und 56 in der Außenstelle in Wien-Floridsdorf. Acht Plätze entfallen dort für die BEST, die Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter. Dadurch können Rechtsbrecher so lange eingesperrt werden, bis man ihnen Ungefährlichkeit bescheinigt.
„Ein gefährlicher Rechtssatz, weil das lebenslänglich bedeuten kann, wenn der Häftling nicht kooperiert“. Spricht ein Richter drei Monate Haftstrafe bedingt aus und lässt den Delinquenten nicht begutachten, bleibt dieser frei. Lässt er ihn hingegen begutachten, kann dieser statt drei Monaten bedingt lebenslang „untergebracht“ werden. Die „Unterbringung“ in der Maßnahme unterscheidet sich im praktischen Vollzug nicht von der üblichen Freiheitsstrafe.

JA Wien-Josefstadt, Dienststelle 047, 1082 Wien, Wickenburggasse 18-20

Das „1er-Landl“ (Bild oben) oder die „Wickenburg“ genannt, im Bezirk Josefstadt an der Zweierlinie gelegen, ist der größte Häfn im Land. Der Weg ins Innere des Vollzugs führt durch endlose Neonröhren-Gänge mit Überwachungskameras und über Kopf angeordneten konvexen Spiegelhalbkugeln.

Die optimale Häfn-Auslastung beträgt 85 Prozent. Die Josefstadt ist chronisch überbelegt, mit über 120 Prozent „Gästen“ und bis zu zehn Insassen pro Haftraum. Haftsache: Suchtgift, Eigentum und Gewalt. Etwa ein Zehntel der 1.200 „Gäste” sind junge Erwachsene im Alter von 18 bis 21 Jahren, auch Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren sind darunter und heißen „Frischfleisch“. Aber nicht nur: 8 bis 10 Prozent der Belegung sind weiblich, im streng getrennten Vollzug, damit nicht Sodom und Gomorrha ausbrechen. Eher Babylon, denn die Häftlinge gehören 70 verschiedenen Nationen an. Laufkundschaft, die hier einsitzt. Bei jährlich 6.500 Personen ergibt das eine gewisse Fluktuation.

Zum reibungslosen Vollzug benötigt es 600 Bediens­tete (440 in Uniform). Zu beaufsichtigen gibt es rund 350 Arbeits-„Haflinga“ im Grauen Haus. Bei der Instandhaltung für Heizung und Elektrik, bei der Reinigung, in der Bibliothek oder bei der Essensausgabe. Laut Sicherheitsbericht 2016 kostet die Unterbringung eines Häftlings im Durchschnitt €119,26 pro Tag.

Jugendlichen steht noch eine weitere Möglichkeit offen, sich sinnvoll die Zeit zu vertreiben. Sie können die Pflichtschule beenden oder eine Schnupperlehre absolvieren, etwa in der Schlosserei, Tischlerei, Malerei, Maurerei, Buchbinderei. Prüfungen sind außer Haus. Wer diese schafft, bekommt ein neutrales Zeugnis, aus dem man keine Rückschlüsse auf die Justizanstalt ziehen kann.

JA Wien-Simmering, Dienststelle 034, 1110 Wien, Kaiser-Ebersdorfer-Straße 297

In acht Lehrberufen wird in der JA Simmering ausgebildet. In der Bäckerei backen bis zu zehn Lehrlinge nicht nur Brot und Semmeln für fünf weitere Gefängnisse und einen Teil des Landesgerichts: Bis zu zehn Tonnen Gebäck werden pro Monat hergestellt, dazu Mehlspeisen und Salzteigwerke. Die Ausbildung wurde erst im Jahr 1978 eingeführt.
Der laufende Betrieb in den Justizanstalten wird durch zehn Prozent von eigenen Arbeiten und Leistungen der Insassen getragen. Die meisten Häftlinge wollen arbeiten, um die monotone Häfnroutine auszublenden und den Knastalltag gut zu überstehen. „Bei der Knastarbeit gibt es mehr Freiheit als anderswo hinter Gittern. Wobei der Entzug der Arbeit auch als Strafe zu verstehen ist“, weiß Franz Blaha.

Die Verdienstmöglichkeiten sind ein Kapitel für sich. Externe Unternehmen zahlen laut Tarif 9,70 Euro für die Arbeitsstunde. Darin sind keine Lohnnebenkosten enthalten, auch keine Pensions- & Sozialversicherung. Den Knasthacklern werden 75% als Vollzugskosten­beitrag abgezogen. Beim salopp als „Haflinga“ bezeichneten Insassen verbleibt also 1,50 Euro pro Stunde. Somit hätte der Vorwurf „Knasthotel“ seine Richtigkeit. Hallo Ausbeutung, Servus Mindestlohn. Die Privatisierung winkt von der Ferne, wie in den USA.

Gäbe es einen Lohnzettel, würde dieser etwa 175 Euro im Monat als Einkommen ausweisen. Die Hälfte davon wandert in die Rücklage für die Zeit nach der Entlassung. Somit bleiben 90 Euro zur Verfügung, um einige Hygieneartikel und außertourliche Lebensmittel einzukaufen. Franz Blaha: „Wenn der Häftling ausspeisen geht, ist er verpflichtet, in der monopolähnlichen Gefängniskantine zu oft absurd überteuerten Preisen einzukaufen.“ Deswegen sind Verpflegungspackerln immer noch sehr beliebt.
Ganz oben auf der Liste stehen legale Stimulanzien wie Koffein und Nikotin, weil Alkohol und andere Berauschungsmittel verboten sind, weiß Franz Blaha. Er kennt noch eine andere Häfenwährung. „Zigaretten und Löskaffee haben einen hohen Stellenwert. Ein weiteres Zahlungsmittel ist auch der saubere Harn. Besonders viele müssen nachweisen, dass sie clean geblieben sind, beim gelockerten Vollzug und beim Häfnausgang, um ihre Begünstigungen vor Haftende nicht zu gefährden. Und dann kann es schon vorkommen, dass jemand sauberen Harn benötigt“, sagt Franz Blaha, der Häfn-Insider, schmunzelnd.

 

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