Die Heiterkeit im Stimmgewitter

Martin_Hoemal
© Cristian Znopp

Lieder schützen nicht vorm Sterben ■ Schweren Herzens teilt der Wiener Traditionschor der Straße, die Mitglieder des „Stimngewitter Augustin”, den Abschied von Martin Österreicher mit. Martin sorgte mit seinem Schmäh auch innerhalb der Gruppe für gute Laune. Beim UHUDLA 100er-Fest 2013 im Chelsea stand das Multitalent, im blaugschekerten T-Shirt, mit Habara Hölmal ebenfalls auf der Bühne der Stimmgewittrigen.

Ein Nachruf von Robert Sommer

Martins Hagerkeit, die Schelmenhaftigkeit seines Erscheinens, die markante Glatze und ein paar Zentimeter unter ihr die John-Lennon-Brille sorgten oft für Irritation: Ist Gandhi beim Stimmgewitter AUGUSTIN gelandet?

Das Bühnen-«Springinkerl» vom Stimmgewitter AUGUSTIN, wie ihn der Chorleiter Mario Lang, immer vorzustellen pflegte, ist Mitte März nach einem Schlaganfall gestorben.

Dem Martin Österreicher wird zum Beispiel nachgesagt, dass er schon im Bauch seiner Mama gesungen hat und dass er auch sonst voller Kompetenzen war, die seine Umgebung ins Staunen brachten, aber unvermarktet blieben: Er war T-Shirtdesigner, er wagte Getränke zu mixen und dann auch appetitlich zu sich zu nehmen, er konnte uns sofort die Zahl der Buchstaben nennen, die in einem Wort steckten, er war als hyperbarocker Schriftenmaler der Geburtstagskarten-Verantwortliche des Stimmgewitters.
Dem Martin werden aber auch ambivalentere Fähigkeiten nachgesagt: Wenn er was erzählte, erzählte er es so ausufernd, dass er nur durch den kollektiven Aufschrei seines Auditoriums zu stoppen war: «Zum Punkt! Zum Punkt!»

Die Geschichte über das Forellenjodeln bleibt legendär. Martin fing mit der Frage an: «Wisst ihr eigentlich, was ein Forellenjodler ist?» Und dann stieß Martin mit einer zweiten Frage nach: Ob es nicht an ein Wunder grenze, dass die Stimmgewitter-Mitglieder so textsicher seien, auch bei einem 90-Minuten-Programm. Die Lösung des Rätsels sei – der Forellenjodler. Durch raffinierte Bewegungen mit dem Mund täuscht der Sänger, wenn er ein Blackout hat, die Textsicherheit einfach vor. Er verriet jedem und jeder, der oder die es nicht wissen wollte, dass es kein Stimmgewitterkonzert ohne Forellenjodler gäbe und dass er beileibe nicht der einzige sei, der diesen Trick beherrsche.

Martin Österreicher war kein Freund des kapitalistischen Hochleistungs-Fetisch. Gern erzählte er über die beiden Non-Profit-Unternehmen, die ihm nach einer Langzeitarbeitslosigkeit eine Chance gaben. Die Rede ist vom sozialökonomischen Betrieb RUSZ, einem gemeinnützigen Reparaturzentrum, und dem Straßenzeitungsprojekt AUGUSTIN.

Dass er dort genau richtig war, wusste er schon in der ersten Sekunde der Begegnung. Das erste, was ihm im Vertriebsbüro auffiel, war ein selbstgemachtes Plakat: «Gesangsfreudige VerkäuferInnen gesucht!»
Wo Lieder sind, ist Böses rar, das wusste Martin. Dass ihn die Reise mit dem Stimmgewitter von seinem geliebten Wienerlied wegbrachte und zum ersten mitteleuropäischen Senioren-Punk-Experiment führte, konnte er damals noch nicht ahnen. Er musste aber später zugeben: mit seinem «Schdöds meine Ross in Schdoi» war die Neigung zur Rampensauigkeit nicht auszuleben …

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