Die Linke sitzt in der Falle

cover_hofbauer_migration_final.inddDer UN-Migrationspakt ist ein liberales Machwerk ■ Was haben sich Sozialdemokraten, Grüne und Linke ins Zeug gelegt, um ihren Sympathisanten zu erklären, dem UN-Migrationspakt beizutreten. Ihr Antrieb war, sich von rechter Argumentation abzugrenzen. Nach dem Motto: Wenn die dagegen sind, sind wir dafür.
Von Hannes Hofbauer, erschienen in der UHUDLA Ausgabe 110 / 2019

Ein Blick auf den Text des 34-seitigen Papiers der UN hätte allerdings genügt, um ihn als liberales Machwerk zu entlarven.

Dort heißt es zum behandelten Phänomen: „Migration ist eine Quelle des Wohlstandes, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung in unserer globalisierten Welt“. Für wen? Diese einfache Nachfrage blieb aus, obwohl sie doch jedem halbwegs materialistisch geschulten Menschen als erstes hätte einfallen müssen.
Migration ist Ausdruck weltweiter regionaler und sozialer Ungleichheit. Wer mit einer solchen Definition an die großen Wanderungsbewegungen herangeht, muss die im UN-Migrationspakt geplante Verwaltung dieser Schieflage ablehnen, zumal im gesamten Text auf die Ursachen nicht eingegangen wird. Ungleichheit muss von Linken bekämpft, nicht verwaltet werden.

Warum tun sich Linke – ob rosa, rot oder grün gefärbt – so schwer mit der Kritik an der Migration?

An der rechten Diskurshoheit über das Thema kann – oder besser: sollte – es nicht liegen. Diese würde es ja zu brechen gelten.
Dem affirmativen Migrationsdiskurs liegt oft ein Missverständnis zugrunde, nämlich die Verwechslung leidvoller Migrantenschicksale mit der Funktion von Migration. Millionenfacher, ständiger Zufluss billiger Arbeitskräfte in die EU-europäischen und US-amerikanischen Zentralräume saugt zum einen die jungen, flexiblen, oft gut ausgebildeten Menschen aus den Peripherien ab und sorgt zum anderen in den Zentren für permanenten Druck auf Arbeits- und Wohnungsmärkte. Nicht umsonst standen von den Gastarbeiter-Anwerbebüros der späten 1950er Jahre bis zu den aktuellen Debatten um neue Facharbeiter-Einwanderungsgesetze immer Unternehmerverbände mit ihren Forderungen nach billiger und williger Arbeitskraft als Triebkräfte hinter den Einwanderungswellen.
Auch der spätsommerliche Willkommensgruß an hunderttausende syrische Kriegsflüchtlinge, denen man zuvor das Überleben in UNO-Lagern durch Mittelkürzung verunmöglicht hatte, kam aus dem Munde von Angela Merkel, der Chefin einer Unternehmerpartei. Den dazu antreibenden, wenige Tage zuvor veröffentlichten Zuruf des damaligen Präsidenten des „Bundesverbands der deutschen Industrie“, Ulrich Grillo, hatte die deutsche Bundeskanzlerin sicherlich noch im Ohr. Sobald im Herbst 2015 über eine Million Flüchtlinge in Deutschland angekommen waren, setzte der IWF nach und empfahl der Bundesregierung, den kurz zuvor beschlossenen Mindestlohn „zeitlich befristet“ für Flüchtlinge aufzuheben, auf dass Betriebe die kräftigsten und flexibelsten von ihnen unter Tarif anstellen konnten.
Die auslösenden Faktoren für Massenmigrationen sind bekannt. Kriege und Freihandelsabkommen zwingen Millionen von Menschen im „globalen Süden“, ihre Heimat zu verlassen. Wenn die Europäische Union mit über 30 afrikanischen und karibischen Staaten sogenannte „Ökonomische Partnerschaftsabkommen“ abgeschlossen hat, dann öffnen sich die Märkte des Südens für überproduzierende Kapitalgruppen aus dem Norden.
Die Folge: Örtliche Bauern, Fischer und Gewerbetreibende halten der Konkurrenz aus dem Norden nicht stand und verlieren ihre Subsistenzgrundlage. Ihre Söhne (und Töchter) machen sich über das Mittelmeer auf, um überleben zu können. Dieser Vorgang wirkt vor allem für die Herkunftsländer, aber auch die Zielländer der MigrantInnen gesellschaftlich zerstörerisch. Der karitative Hilfsgestus, der viele Menschen in den Zentrumsländern erfasst hat, ändert daran nichts; im Gegenteil, ohne ihn kritisch zu hinterfragen, festigt er die strukturelle, Migrationen auslösende Ungleichheit.

Wer soll die Krise in afrikanischen Ländern überwinden, wenn die Jungen und Agilen sich abgesetzt haben?

Neben der Verwechslung von Migrantenschicksalen mit der sozio-ökomischen Funktion von Migration hängt so manch anderer Linker einem keynesianischen Argumentationsmuster an. Ihm zufolge löst Migration in den Zielländern positive Nachfrageeffekte aus. Vom Wohnungsbau über Integrations- und Wertekurse bis zum Gesundheitswesen pumpen Länder wie Deutschland und Österreich tatsächlich Milliarden von Euro in die „Migrationsindustrie“.
Die volkswirtschaftlichen Kosten dafür sind enorm, der deutsche Ökonom Conrad Schuhler veranschlagt sie für die BRD mit 47 Milliarden Euro jährlich. So weit, so gut, könnte man meinen, es handelt sich ja um durchaus nützliche Aufwendungen. Einverstanden, wenn dafür z.B. das Militärbudget zurückgefahren würde. Dem ist aber nicht so, weswegen diese 47 Mrd. Euro anderswo in Sozialbereichen eingespart werden.
Noch kritikwürdiger ist das keynesianische Argument allerdings, weil es die Kosten für die Herkunftsländer völlig außer Acht lässt. Wer soll denn die Krise in afrikanischen Ländern überwinden, wer kriegsverheerte Staaten im Nahen Osten aufbauen, wenn die Jungen und Agilen sich abgesetzt haben, um hier im Zentrum Unternehmen konkurrenzfähig zu halten? Der keynesianische Blick auf die Migration ist ein eurozentrischer.
Autonomistisch-operaistische Stimmen wiederum sehen im Migranten ein „diasporisches revolutionäres Subjekt“ und in der Migration einen „Kosmopolitismus von unten“. Das klingt in linken Ohren sympathisch, aber hält es auch der Wirklichkeit stand? Die Frage muss erlaubt sein, ob bei extremen sozialen Differenzen – die kulturellen wollen wir hier einmal außer Acht lassen – Solidarität zwischen heimischer und zuwandernder Bevölkerung möglich ist.
Der Ökonom Branko Milanovic hat diesbezüglich nachgeforscht, wie sich in den vergangenen 200 Jahren die Verteilungsfrage zwischen Arm und Reich zusammensetzt. Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Faktor Klasse zu 80% dafür zuständig war, ob jemand reich oder arm geboren wurde, drehte sich dieses Verhältnis Mitte des 20. Jahrhunderts um. 1970 war es zu 80% entscheidend, wo man auf die Welt kam und nur mehr zu 20%, in welche Klasse man hineingeboren wurde.
Für die Migrationsdebatte schließen wir daraus, dass bei Einkommens- und Lohndifferenzen von 30:1 weltweit und 8:1 innerhalb der EU (z.B. zwischen Deutschland und Bulgarien) gemeinsame Interessenslagen nicht herstellbar sind. Das zeigt sich auch daran, dass die allermeisten MigrantInnen und Flüchtlinge kein revolutionäres Selbstverständnis haben, sondern am liberalen Bild des „Jeder ist seines Glückes“ festhalten. Der autonomistisch-operaistischen Argumentation haftet also eine gehörige Portion Voluntarismus an.

Angemessene Löhne könnten ständige „Importe“ von billiger Arbeitskraft unnötig machen

Statt sich im keynesianischen Ge-strüpp oder autonomistischen Wunschvorstellungen zu verstricken, bedürfte es einer Kritik am herrschenden liberalen Diskurs, der Migration und Mobilität befeuert. Sein Plädoyer für eine permanente Einwanderung in die Zentralräume argumentiert er idealtypisch damit, dass hier niemand bereit wäre, schwere und schmutzige Arbeit zu machen. Damit sind wir bei einem Kernwiderspruch, dem zwischen Kapital und Arbeit.
Denn wo steht denn geschrieben, dass Altenpflegerinnen, Paketzusteller oder Müllbeseitiger weniger verdienen müssen als Banker, obwohl doch jeder einsieht, dass deren Arbeit gesellschaftlich nützlicher ist als die von Bankmenschen. Angemessene Löhne für schwere Arbeiten könnten ständige „Importe“ von billiger Arbeitskraft unnötig machen. Und konsequente Friedenspolitik sowie der Kampf gegen Freihandelsabkommen würden gegen die Push-Faktoren in den Peripherien wirken.

Hannes Hofbauer:
Kritik der Migration

Wer profitiert und wer verliert
Promedia 2018. 272 Seiten
ISBN: 978-3-85371-441-6
Preis: 19,90 Euro
E-Book: Preis; 15,99 Euro
ISBN: 978-3-85371-864-3

Der Autor
Hannes Hofbauer studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte und arbeitet als Publizist und Verleger. Im Promedia Verlag sind von ihm zum Thema erschienen: „EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Triebkräfte – soziale Folgen“ (2008) und „Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter“ (2014).

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