Auf der Suche nach blühenden Landschaften

Rio
© Mario Lang

Vorhang auf Tour ■ Mario Lang ist wieder unterwegs auf seiner „Vorhangauf International” Klapprad-Tour. Diesesmal geht die Reise über den Oder-Neiße-Radweg von Świnoujście (Polen) der deutsch-polnischen Grenze entlang bis nach Tschechien und zurück nach Hause in die Wienerstadt. Mit dem Faltrad. Coming Home for Christmas!

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Mario sammelt wieder Grenzerfahrungen im wilden Osten wo vor 30 Jahren noch die DDR angesiedelt war. Am 1. Tag war in Berlin ein Besuch bei Rio Reiser auf dem Programm. Danach erfolgte die Erkundung der Helmut Kohlschen „blühenden Landschaften”.

Keine Angst, ein anderes Berlin und Königsberger Klopse

1. Tag: Donnerstag, 12. Dezember
Strecke: Nachtzug Wien – Berlin

«Wir haben nichts zu verlieren außer unsre Angst», ein unzerstörbarer Satz der Ton Steine Scherben Hymne «Der Traum ist aus»!

Vorgestern noch auf der ebenerdigen Bühne des Gasthauses Praschl im zehnten Wiener Hieb (Anm. Gemeindebezirk), gemeinsam mit meinen Kollegen von Die Rio-Reiser.
Band und Publikum verschmelzen zu einer unüberhörbaren Stimme – «Macht euch bereit, für den Kampf ums Paradies»! Einen kapitalen Rausch, einen Reparaturtag und eine Nachtbahnfahrt später zu Besuch am Grab des 1996 verstorbenen Sängers und Autors eingangs zitierter Zeilen.

Berlin ist verschnupft, der Fernsehturm versteckt sein Haupt im dichten Nebel. Der Hauptstadtbesuch ist nur ein Zwischenstopp einer Stadtflucht auf der Suche nach Ruhe und Gelassenheit. Die eigentliche Reise, der Oder-Neiße-Radweg von Świnoujście (Polen) der deutsch-polnischen Grenze entlang bis nach Tschechien und weiter zurück nach Hause. Mit dem Faltrad. Coming Home for Christmas!

Im Städtevergleich ist Radfahren in Wien ein Wellnesstrip

Die Stadtausfahrt führt zu Nebenschauplätzen der Metropole: In die Chausseestraße 131, wo Wolf Biermann bis zu seiner Ausbürgerung aus der DDR wohnte und arbeitete. In eine Altberliner Eckkneipe am Mariannenplatz wo die Kundschaft noch richtig «berlinert». Ans Tempelhofer Ufer, wo die Scherben-Familie in den frühen 70er Jahren gemeinsames wohnen übte. Zum Alten St. Matthäus Kirchhof wo Rio Reiser unter der Erde liegt. An das ehemalige Lenné-Dreieck, auf der Westseite gelegen und trotzdem Teil der DDR.

Dieser nicht mehr existierende Wildwuchsstreifen erzählt eine andere Flucht-Geschichte. 1988 flüchteten die Besetzter dieses Grün-Dreiecks vor der Polizei über die Mauer nach Ost-Berlin, wurden dort von der Volkspolizei abgeholt, verpflegt und wieder zurückgeschickt. Die vorletzte Station ist der Ernst Thälmann Park, wo der Ernstl noch immer seinen rechten Arm zum kommunistischen Gruß erhebt. Rot Front Genosse!
Die letzte ist ein Besuch in der «Bierquelle», meiner Stammkneipe an der Greifswalder Straße, wo die Zeit stecken geblieben ist, in der Vorwendezeit, als Walter Ulbricht und Erich Honi das Ruder noch fest in der Hand hatten.

Aber das Beste kommt zum Schluss: die Vertiefung einer deutsch-österreichischen Freundschaft beim gemeinsamen Kochen. Am Speiseplan stehen Königsberger Klopse, der Rest würde zu weit führen …!

 

Böser Wolf, ein Bahnintermezzo und auf der Suche nach blühenden Dörfern

4. Tag: Sonntagtag, 15. Dezember
Strecke: Heidemühl – Seebad Ueckermünde – Bellin – Ueckermünde (BH) – Pasewalk – Grambow – Penkun
Streckenlänge: 104 km

«Seemann lass das Träumen …», ein Alleinunterhalter sorgt für Stimmung im Waldgasthof! Außerhalb des Gemäuers grasen Rehe, röhren Hirsche, Wildscheine pflügen den Boden und Wölfe sind auf der Suche nach leichter Beute.

«Erst kürzlich haben sie eine wild lebende Herde Mufflons gerissen», berichtet die jägerlateinende Wirtin. Aber das bingt die Feierstimmung nicht ins Wanken, sowohl Jubilare als auch Gäste sind ausreichend erfrischt und bei bester Laune.
Bei Tagesanbruch, die ersten Kilometer in das sonntäglich verschlafene Fischerdorf Mönkebude rollen sich wie von selbst. Kurz darauf wartet das Seebad Ueckermünde, noch läuft alles nach Plan. Ein Strandblick geht sich noch aus, dann brechen die Wolken.

Noch ist der Wille nicht gebrochen, erst im nächsten Dorf. In Bellin hat die Bekleidung ihren Kampf gegen das Wasser verloren.

Rückzug nach Ueckermünde und der Wechsel vom Fahrrad auf die Deutschen Bahn. Mit der Bahn kommt auch die Sonne wieder zurück, zu spät. Eine Kurzstrecke mit Umstieg in Pasewalk. Ein stattlicher Bahnhof ohne Alles. Leere, auf Mieter wartende Hallen, den per Werbetafel angekündigten Imbiss gibt es nicht mehr, einzig eine Spielhalle verspricht bessere Zeiten.

Von der Wendeeuphorie ist ist hier nichts mehr übriggeblieben, wo sind die versprochenen «blühenden Dörfer»?

Bei Abendrot kommt Penkun in Reichweite. Umgeben von mehreren Seen zu ebener Erde, liegt die Kleinstadt auf einem Hügel, oben drauf ein Schloss. Das angepeilte Stadt-Gasthaus mit Bettenstation macht heute Abend Pause. Das übrige Zentrum ist ausgestorben, menschenleere Gehsteige und bis auf die Straßenbeleuchtung, alles finster.

Aus eigener Kraft ist auch heute kein Bett aufzutreiben. Im entscheidenden Moment verirrt sich doch wer auf die Straße, die Vizepräsidentin des örtlichen Fischerei-Vereins, und vermittelt mir «Günter’s Bierstübchen» für Bett und Abendbrot. Ein Happy-End in letzter Minute!

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