Alles unter einem Hut

Ninic
© Mario Lang

Slavko Ninić, der „Tschuschenkapellmeister“ Seit mehr als 30 Jahren sieht die Kapelle sich als Botschafter der Kulturen. Das Repertoire setzt sich aus traditionellen und selbstkomponierten Liedern der Balkanländer, Serenaden des Mittelmeeres, türkisch-arabisch-orientalen Weisen, griechischem Rembetiko, der bosnischen Sevdalinka und vielem mehr zusammen.

Von Karl Weidinger UHUDLA 113 @1

Aber auch Ausflüge nach Russland ergänzen die musikalische Palette der Tschuschenkapelle.


Munter wird auch mit Gipsy-Jazz und klassischen Traditionals experimentiert. Der „Kapellmeister“ als künstlerischer Leiter ist ein antiquierter Begriff. Darunter versteht man den Gründer und die Kontaktperson einer musikalischen Formation.
Tschusch – Das Wörterbuches hilft weiter: Der Begriff leitet sich von „čuješ“ (ausgesprochen: ‚tschujesch‘; bosnisch/kroatisch/serbisch) vom Präsens der 2. Person Singular des Verbs „čuti“ (hören): „hörst du“ bzw. Wienerisch „hearst“) ab. Der Ausdruck wurde heimisch, als sich von 1860 bis 1880 die zahlreichen südslawische Arbeiter bei der Errichtung der Südbahnstrecke dieses Wort zuriefen,…
Aber das Wort könnte auch von der serbokroatischen Interjektion „ćuš“ (ausgesprochen: ‚tjusch‘) abstammen, womit früher störrische Lasttiere angetrieben wurden. Dieser Ausruf habe sich dann als Bezeichnung für die Eseltreiber durchgesetzt. Im Zuge der Okkupation Bosnien und Herzegowinas durch Österreich-Ungarn 1878 sei dann diese Bezeichnung für die neue Volksgruppe verwendet worden.

Das war der wissenschaftliche Teil, jetzt kommt der persönliche. Nun ist Slavko schon 66 Jahre alt geworden, der Bandleader, der seiner Gruppe seit fast der Hälfte seines Lebens als Sänger, Gitarrist und Moderator vorsteht. Frontman bei der Wiener Tschuschenkapelle, Slavko Ninić. Ein Fall für die Hacklerregelung. Die Gruppe musiziert seit Jahrzehnten in gleichbleibender Besetzung (mit nur einem größeren Umbau) und auch in gleichbleibender Qualität.
Der Blick ins Wörterbuch war unnötig. Slavko hätte die Namensherleitung auch mit eigenen Worten erzählen können, denn er hat „sowas in der Art“ studiert. Natürlich mit Abschluss, und er könnte sich Magister nennen, aber er bleibt lieber der „Gastarbeiter – um nicht zu sagen der Tschusch!“
Nach seiner Matura in Vinkovci begann er ein Studium der Soziologie und Germanistik in Zagreb. In Wien graduierte er 1979 und ist seither gerichtlich beeideter Dolmetsch für Kroatisch, Serbisch und Bosnisch. Aber das lässt er ruhen, seit er auch offiziell in Pension ist. Und ein echter Vollblutmusiker kennt sowieso keinen Ruhestand.

Am Anfang war Slavko und der Hut – Und der schwermütige Blues des Balkan, der war immer schon da

Die Musikgruppe, seit 31 Jahren unter seiner Leitung, versteht sich als Ethno-, Balkan- und Weltmusik-Band, die im Jahr 1989 in Wien gegründet wurde. Slavko hat als „Originalsprachler“ in einer Beratungsstelle für AusländerInnen gearbeitet, und es stellte sich schnell heraus, dass alle Kollegen musikalisch sind, namentlich Franz Fellner und Haydar Sari. Slavko steuerte seine musikalischen Wurzeln bei, und das Trio fing an, in den Arbeitspausen gemeinsam zu musizieren. Gerne wurden sie zu Geburtstags- und anderen Festivitäten eingeladen. Wie so oft, aus Spaß wurde Ernst. Und aus dem Hobby ein Beruf. Ein Musikprojekt, das einen Namen brauchte. Und weil es immer schon Lieder vom Balkan abwechselnd mit österreichischen Weisen gab, hat es geheißen: „Hör zu, nennt euch doch Tschuschen-Band.“ So entstand das Ensemble mit dem gewöhnungsbedürftigen Namen.
Slavko: „Und weil wir alle aus Wien sind und auch Wiener Lieder spielten, nannten wir uns Wiener Tschuschenkapelle. Wahrscheinlich haben wir dazu beigetragen, dass dieses Wort viel von seinem Schrecken und seiner abwertenden Bedeutung verloren hat.“

Das Liedgut umfasst seither traditionelle Musik aus dem ehemaligen Jugoslawien bis hinunter nach Griechenland und in die Türkei. Es sind immer wieder Elemente des griechischen Rembetiko, der Roma-Musik mit klassischen Anleihen vertreten. Dazu verlustiert man sich in schwermütigen Weisen aus Russland und der Ukraine. Abgerundet mit der Melange aus Polka und Landlern aus dem oberen Donauraum.
Geboren wurde Ninic in Slawonien, Jahrgang 1954. Seine Eltern aus Bosnien, Vertriebene im eigenen Land. In Slawonien gibt es zwei bestimmende Musikstile: Die Sevdalinka, die traditionelle Liebeslyrik in Bosnien ist fatalistisch, schwermütig und traurig. Dem gegenüber stehen die mitreissenden Hochzeitslieder. So hat alles seinen Platz – und setzt dem Genre einen gemeinsamen Hut auf. Obwohl völlige Gegensätze.

Slavko erinnert sich: „Es ist früher viel mehr musiziert worden, viel mehr als heute, und es wurde mehr gesungen: bei der Arbeit, nach der Arbeit, nach dem Essen, bei Geburtstagen, auf Begräbnissen, auf Hochzeiten – zu jedem Anlass. Es war schon, kann man sagen, lustiger als heute, wahrscheinlich.“ Slavko verfasste die Musik für das Theaterstück „Herz und Leber, Hund und Schwein“, das 1995 vom Wiener Dario-Fo-Theater uraufgeführt wurde. Dabei kam auch sein Markenzeichen, der schwarze Hut, zum Tragen.

Die Besetzung der Tschuschenkapelle besteht aus klassischen Musikanten und Kapazundern der Balkanmusikszene

„Der Hut war anfangs nur ein Gag, ein übliches Outfit für Musikanten. Das war zuerst in einem Theaterstück von Nazim Hikmet. Viele, die in solchen Balkan-Lokalen gespielt haben, haben aus Tradition einen Hut aufgehabt. Und das haben wir beibehalten, eine Art Nostalgie, ein Erkennungszeichen. Und als die Band einmal in 30 Jahren erneuert wurde, bin ich allein von der alten Garde der Alt-Tschuschen über geblieben. Dann wollte ich schon den Hut abnehmen, aber die anderen haben gesagt: Hearst Slavko, das geht jetzt nicht. Das ist so etwas Etabliertes, Du musst deinen Hut jetzt weiter tragen!“

Den Namen, ursprünglich „Erste Wiener Tschuschenkapelle“, wählte er, weil er dem Schimpfwort „Tschusch“ durch ironische Selbstbezichtigung seine diskriminierende und abwertende Eigenschaft nehmen wollte. Die Sprachwissenschaft bezeichnet das als „Melioration“. So wie die Anreden „Sandler“ oder „Schwule“, die sich ebenfalls durch selbstbewusste, stolze Selbstermächtigung aus dem Schmuddeleck der Beleidung und Beschimpfung befreit haben. Eine Selbstbezeichnung im Sinne des „Ethnic Pride“.
Dadurch, dass er studiert hat, zählt er sich eher zum Überbau der „Gastarbeiterij“. Obwohl das „Hackeln“ in den Universitätsferien auch dazu kam. Die milde belächelten Gastarbeiter der ersten Stunde paraverten noch körperlich, „mit Krampen und Schaufeln am Bau“. Und so brachten sie es zu gefragten Musikarbeitern. Aus dem symbolischen Migrationshintergrund war eine eigene Nische der Unterhaltungsmusik geworden.

Die Beifügung „Wiener“ kann man inzwischen weglassen. Weltweit gastierte das Ensemble in den ersten 30 Jahren seines Bestehens in Zimbabwe, Marokko, Tunesien, Brasilien, Kanada, USA, in Europa sowieso fast überall. Am liebsten tritt die Band aber immer noch in und um Wien auf. Nicht selten mit dem sprachlich gleichwertigen Sänger und Entertainer Willi Resetarits oder mit Akkordeonisten Otto Lechner.
2008 tourte die Kapelle als Botschafter des Interkulturellen Dialogs quer über den Balkan. Diese Konzertreise wurde eingehend dokumentiert im Film „Balkan Blues“. Eine größere Auslandstournee führte 2016 in die USA nach New York.

2018 ging ein langgehegter Wunsch des Kapellmeisters in Erfüllung: Nach vierzehn Tonträgern mit „tschuschischen“ Inhalten nahm er gemeinsam mit seinen MusikantInnen eine CD ausschließlich mit Musik aus Österreich auf. Von Mozarts „Papageno“ über Lieder von Willi Resetarits bis hin zu verschiedensprachigen Volksliedern wird die verbindende Kraft der Musik demonstriert.
2014 feierte die Kapelle ihr Vierteljahrhundert im Wiener Metropol, bei dem viele „Alt-Tschuschen“ gastmusizierten. Daraus entstand die Konzert-DVD „25 Jahre Wiener Tschuschenkapelle“, die aus zwei Stunden feinster Crossover und Multikulti-Musik besteht.

Ein Höhepunkt im künstlerischen Schaffen war die Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern

In der Staatsopern-Aufführung von Franz Lehárs „Die Lustige Witwe“ (1994). Seit Jahren veranstaltet die Tschuschenkapelle Neujahrskonzerte im Volkstheater. Ein Live-Mitschnitt des auf ORF-Ö1 übertragenen Konzerts am Wiener Donauinselfest komplettiert das bisherige Schaffen der hörenswerten Multikulti-Kapelle.
Die Musik ist ebenso originell arrangiert, gut eingespielt und professionell mit Humor und Charme vorgetragen. Bei seinen Konzerten hat das gemischte Publikum einen vergnüglichen und zugleich niveauvollen Abend ohne jegliche Berieselung und oberflächlichen Klamauk – auch fernab aller Klischees und frei von Vorurteilen. Slavko Ninić: „Pop und Disko sind mir viel zu oberflächlich, die tragen nur zur Verdummung bei.“ Damit will er auch weiterhin nix zu tun haben. Somit alles unter einen Hut gebracht, vom „Herrn Tschuschenkapellmeister“.

 

Die Tschuschenkapelle

Mitke Sarlandziev (Akkordeon)
Slavko Ninić (Gesang, Gitarre)
Jovan Torbica (Kontrabass)
Hidan Mamudov (Klarinette, Saxophon)
Maria Petrova (Schlagzeug)

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