Fenster auf und „Grandola, Vila Morena” singen

Ausnahmezustand
© Margarete Wachter

Portugiesische Verhältnisse Für das Volk seit 19. März 2020 im „Ausnahmezustand” hat am Freitag, 17. April die dritten Runde begonnen. In Portugal muss das Parlament nach 14 Tagen die Notstandsverordnung neu beschließen, mit reger Anteilnahme und hitzigen Debatten der Abgeordneten. Die 12 MandatarInnen der PCP (Kommunistische Partei Portugal) in der 230 Abgeordneten zählenden Assembleia da Republica haben bis jetzt immer gegen den Ausnahmezustand gestimmt.

Aus Lisboa berichtet Martin Wachter

Landauf, landab wird heftig über den Sinn und die Notwendigkeit der Notstandsverordnungen diskutiert. So gut wie alle haben begriffen, dass im EU-Land am südwestlichen Ende Festland-Europas sehr viel auf dem Spiel steht.

Eine zweite fundamentale Krise des 21. Jahrhunderts kann katastrophale Folgen für die Gesellschaft nach sich ziehen. Selbst der sozialdemokratische Regierungschef Antonio Costa hat bei der zweiten Abstimmungsdebatte am Donnerstag Lockerungen des Demonstrations- und Versammlungsrechts für den 1. Mai in Aussicht gestellt.

João Oliveira der Fraktionschef der KommunistInnen im Parlament analysiert die Situation im Lande. Ein Paar Auszüge seiner Reden in der Nationalversammlung in Lisboa:

„Wir verteidigen vorbeugende Maßnahmen und soziale Unterstützung und distanzieren uns vom Ausnahmezustand” …

Herr Präsident,
Premierminister,
Sehr geehrte Damen und Herren,

Die Realität bestätigt, dass die Gründe, aus denen sich die PCP von der Erklärung des Ausnahmezustands distanzierte, gerecht und richtig waren. Wir KommunistInnen sind weiterhin der Überzeugung, dass Portugal wirkungsvolle Maßnahmen zur Vorbeugung und Eindämmung von Ovid-19 benötigt. Vernünftige Richtlinien und Entscheidungen sind notwendig um sie durchzusetzen, der Ausnahmezustand nicht..

Wichtige Bedingungen, die zur Bewältigung der Epidemie getroffen wurden, waren bereits gesetzlich festgelegt und wurden darüber hinaus vor oder außerhalb der Dekrete des Ausnahmezustands getroffen. Gleichzeitig ist der Ausnahmezustand ein Vorwand für eine Offensive gegen die Rechte der arbeitenden Bevölkerung, bei der alle Arten von Missbrauch und Willkür verhängt werden. Der Weg zur Verschärfung der Ausbeutung und Verarmung der Arbeiterinnen und Arbeiter führt zur Anhäufung von Gewinnen, einschließlich der Aneignung öffentlicher finanzieller Mittel durch große Firmen und Konzerne.

Auf diese Weise ruinieren Banken und Konzerne kleine Firmen und DienstleisterInnen im privatwirtschaftlichen Sektor. Diese Betroffenen haben so gut wie keinen Zugang zu Krediten oder ihnen werden existenzgefährdende Bedingungen aufgezwungen. Banken und Konzerne „wirtschaften” weiter wie gehabt. Sie schütten Dividenden an die Aktionäre aus, treffen Entscheidungen, die besonders skandalös sind. Beispielsweise: Gewinne die in Portugal erzielt werden, die damit verbundenen Steuern werden in den Niederlanden gezahlt (30 der 40 größten Konzerne Lousitaniens versteuern ihr Einkommen in Holland. Anmerkung des Autors). Makabererweise kommt dieses Geld den Staatshaushalten der Länder zu Gute, deren Regierungen Portugal und seinem Volk wegen der hohen Staatsschulden besserwisserisch ins Gewissen reden.

Portugal braucht wirklich Maßnahmen, um das Virus einzudämmen. Wir brauchen Regelungen, die jetzt praktiziert werden, und wir brauchen genauso die Richtlinien, die die Gesundheitsbehörden als notwendig erachten. Wir brauchen Maßnahmen, um diejenigen zu schützen, die jeden Tag weiterarbeiten müssen, und diejenigen, die zu den am stärksten gefährdeten sozialen Gruppen gehören. Wir brauchen diese Maßnahmen, wie sie bisher von der Bevölkerung allgemein erfüllt wurden, damit es positive Ergebnisse gibt. Und wir brauchen Maßnahmen um den nationalen Gesundheitsdienst für die notwendigen Handlungen im Interesse der Erkrankten zu stärken. Aber all diese Maßnahmen rechtfertigen den Ausnahmezustand nicht.

Portugal braucht dringend größere wirtschaftliche und soziale Maßnahmen. Wir brauchen klare Regeln und Gesetze zum Schutz des Arbeitsplatzes und Unterstützung für diejenigen, die kein Einkommen, aber zum Beispiel ihre offenen Rechnungen für Miete, Strom und Wasser zahlen müssen. Wir brauchen Maßnahmen zur Unterstützung der nationalen Produktion, angefangen bei der Erzeugung von Nahrungsmitteln, damit wir nicht in noch größere Schwierigkeiten schlittern.

Täglich steigt die Zahl der missbräuchlicher Entlassungen von Beschäftigten in Firmen und Konzernen, ohne Rechtsgrundlage und in einigen Fällen sogar unter Zwang und Drohung Erklärungen zu unterzeichnen, in denen Werktätige ihre eigene Entlassung akzeptieren. Weiters sind Lohnkürzungen, Änderungen und Verlängerungen der Arbeitszeit, Versuche, die Einhaltung des Gesetzes bei Unterstützungsmaßnahmen für Arbeitende mit Kindern zu verhindern, nicht akzeptabel, genauso wie eine Nichteinhaltung der Hygiene-, Sicherheits- und Gesundheitsvorschriften am Arbeitsplatz. …

All diese Missbräuche und die Willkür der Konzern- und Betriebsleitungen werden den Arbeitenden unter dem Deckmantel des Ausnahmezustands auferlegt. Die PCP akzeptiert nicht, dass der Ausnahmezustand der Vorwand ist, die Folgen der Gesetze des Dschungels den Arbeitenden und der Merheit des Volkes aufzubürden und dass diese Menschen mit schlechten Existenzbedingungen und der Einschränkung ihrer Rechte leben müssen.

„Der Ausbruch der Epidemie wirft eine Vielzahl von gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen auf”

Herr Präsident,
Premierminister,
Sehr geehrte Damen und Herren,

Der Ausnahmezustand ist hierfür nicht zwingend vorgeschrieben. In politischen Entscheidungen, die mit oder ohne Ausnahmezustand getroffen werden müssen, Optionen, die die Probleme lösen im Vordergrund stehen und unsere Handlungen bestimmen. Hoffen wir, dass das Scheinwerferlicht, des Ausnahmezustands niemanden blendet und für die anstehenden Lösungen blind macht.

Die Situation in Portugal in Bezug auf Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, Prävention und Eindämmung des Virus unterscheidet sich von der in anderen Ländern. Bisher wurden diese Maßnahmen in Portugal von den Gesundheitsbehörden und der Regierung ordnungsgemäß festgelegt und von der portugiesischen Bevölkerung allgemein durchgeführt, noch bevor der Ausnahmezustand verordnet wurde. Dies wird von Fachleuten und Gesundheitsbeamten anerkannt.

Die Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, sind sehr groß. Dazu zählen der Verlust von Arbeitsplätzen und große Lohneinbußen; Schwierigkeiten älterer Personen beim Einkauf; der Schutz der Angehörigen von Gesundheitsberufen, von Sicherheitskräften, von Unterstützern älterer Menschen; der Sammler und Verarbeiter von Abfällen und Müll, der geregelte Warenverkehr,  und vielen andere wichtige Dienstleistungen bis auch zum Schutz der psychischen Gesundheit von Personen, die möglicherweise monatelang in ihren Häusern eingesperrt sind; Erwartungen von Kindern und Jugendlichen in Bezug auf ihre Schulkarriere bis zur Mobilisierung derjenigen, die notwendig sind, um die Grundversorgung für das Funktionieren des Lebens in der Gesellschaft sicherzustellen; Es gibt viele Bedürfnisse, die angegangen werden müssen, damit das Problem der öffentlichen Gesundheit nicht zu einem noch größeren sozialen Problem wird.

Die Ausrufung des Ausnahmezustands kann nicht verharmlost werden, da es um die Aufhebung oder Einschränkung der Rechte, Freiheiten und Garantien der Bürger geht. Wir haben bereits in der ersten Diskussion im Parlament festgestellt und darauf bestanden, dass die Erklärung des Ausnahmezustands nicht auf der Grundlage abstrakter oder theoretischer Überlegungen entschieden werden sollte, sondern die begründete Überprüfung des Vorhandenseins eines außergewöhnlichen Rahmens, der eine solche Entscheidung rechtfertigt.

Eine sukzessive Erneuerung des Notstandsgesetzes, unabhängig von den Bedingungen und Ergebnissen seiner vorherigen Ausführung, führt zu der demokratisch gefährlichen Vorstellung, dass die Aussetzung oder Einschränkung von Rechten, Freiheiten und Garantien erforderlich sein könnte. Es wird noch besorgniserregender, wenn aus der nationalen Realität hervorgeht, dass die Antwort zur Bekämpfung der Epidemie nicht im Ausnahmezustand gefunden wird, und schon gar nicht die Lösung der nationaler Probleme.
Aus all diesen Gründen wird die PCP gegen die weitere Verlängerung des Ausnahmezustands stimmen.

Ob die Parlamentsreden von João Oliveira und die Position der PCP Anklang beim portugiesischen Volk finden, wird sich nächste Woche bewahrheiten.
Am Samstag, 25. April um 15 Uhr zum 46. Jahrestag der Nelkenrevolution lautet seine Losung und die der KommunistInnen des Landes: Mach dein Fenster auf, bring deinen Protest auf die Straße und sing „Grandola, Vila Moreno”.

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