Schmetterlinge forever

Unger
„Schmetterling“ Georg Herrnstadt links und Autor Heinz R. Unger rechts Foto: Karl Weidinger

40 Jahre Proletenpassion ■ Arena Besetzung zum Auftakt. Nach der Uraufführung im Jahre 1976 und den Tourneen durch den gesamten deutschen Sprachraum bekam die Proletenpassion Kultstatus und wurde zum ohrwurmtauglichen Wegbegleiter für Generationen.

Von Karl Weidinger, erschienen in der UHUDLA Ausgabe 103/2015

Der UHUDLA traf Beatrix Neundlinger und Heinz R. Unger zum Gespräch über die aktualisierte Neufassung.

„Vor 40 Jahren wurde die „Proletenpassion” von Heinz R. Unger und den Schmetterlingen im Rahmen der Arena der Wiener Festwochen mit riesigem Erfolg uraufgeführt. Nach der letzten Vorstellung folgte die Besetzung des Geländes des Auslandsschlachthofes in St. Marx im 3. Wiener Bezirk”. Das ist ein Auszug aus der 24seitigen, färbigen UHUDLA Sonderausgabe anlässlich „15 Jahre UHUDLA – 30 Jahre Proletenpassion”.

Ihr hattet Siege, wir hatten Gräber

Heinz R. Unger blickt zurück: „Die Schmetterlinge waren eine aufstrebende Musikgruppe und bekamen die Einladung, in einer Kirche ein Konzert zu geben“, erinnert sich der Autor, „also machten wir so eine Art Passion. Nur haben wir die linke Position reingebracht“. So entstand die Geschichte mit der Passion als Leidenschaft.
In insgesamt 65 Liedern (auf drei Vinyl-Schallplatten in einer Box) werden die letzten 500 Jahre als eine Abfolge des Klassenkampfes besungen. Der erste Abschnitt handelt von den Bauernkriegen, als die Leibeigenen ihre ersten Gehversuche in Richtung Freiheit und Unabhängigkeit unternahmen, die aber allesamt blutig niedergeschlagen wurden.
„Bertolt Brecht meinte, dass die Bauernkriege die größte Katastrophe der deutschen Geschichte waren. Brecht sagte das in den 1930er-Jahren, noch bevor die noch größere Katastrophe der NS-Zeit stattfand“, sagt Unger.

Wir lernen im Vorwärtsgehen

Vier Jahrzehnte nach der Originalfassung entstand 2015 ein Theaterstück im ehemaligen Kabelwerk in Meidling mit einer Fortschreibung der Texte. In der von Heinz R. Unger aktualisierten Bühnenversion verpasste die Musikerin Eva Jantschitsch alias “Gustav” dem revolutionären Geist und dem angejahrten Liedgut einen zeitgemäßen Touch. Die Produktionsbedingungen sind nicht nur bei Marx wichtig, sondern auch im Theater. „Damals hatten wir eine Vorbereitungsphase von zwei Jahren. Die Neufassung dauerte nur wenige Monate, was heute durchaus üblich ist. Gemacht und gespielt von Leuten, die damals noch gar nicht auf der Welt waren“, sagt Unger.
Kritiker attestierten der Aufführung: „Die Originalmusik der Klassenkampf-Kanzonen wurde entschlackt. Und der domestizierte, mehrstimmige Schönklang der Schmetterlinge zur existenzialistischen Selbstbefragung mit ungewissem Ausgang kommt nun als analoges Werk im digitalen Zeitalter an.“
Autor Unger sagt: „Dass es heute so aufbereitet wird, mit Bild und Einspielungen und elektronischen Mitteln, das hat auch damit zu tun, dass in den 40 Jahren, die seither vergangen sind, dass in der Wertigkeit das Wort verloren hat gegenüber dem Bild. Es wird viel mehr über das Bild vermittelt und durch oberflächliche Nachrichtenvermittlungen.“
Geschichte wird nicht nur gemacht, sondern auch geschrieben – und nicht von den Armen, Unterdrückten und Mittellosen. “Wir lernen im Vorwärtsgehen” ist eine der Kernaussagen. Seit dem Erscheinen vor etwa 40 Jahren hat die Globalisierung rasant Fahrt aufgenommen, und die Menschheit hat sich im selben Zeitraum verdoppelt. Die Bauernkriege dauerten Jahrhunderte. Im Vergleich dazu ist der proletarische Kampf ein kurzer, bisher.
Heinz R. Unger blickt nach vorne: „Das Tempo hat sich vervielfältigt, ist immer schneller geworden, bis in unsere Gegenwart. Jetzt haben wir eine globale Welt, und auch das Kapital war damals bei der Uraufführung bei Weitem noch nicht so perfide und mächtig, wie es heute ist.“
Das Proletariat lässt sich nicht mehr nur auf Arbeiterschaft und Erwerbstätigkeit beschränken. Auch Formen wie „Working Poor“, Prekariat und marginalisierte künstlerische sowie gemeinnützige Tätigkeiten, die den Lebensunterhalt nicht mehr finanzieren können, gehören nun dazu.
„Wir haben den technischen Fortschritt, aber zugleich einen ethischen Rückschritt, mehrere Jahrhunderte zurück eigentlich. Wenn man sich anschaut, wie die Ausbeutung heute funktioniert, wird man unwillkürlich an die früheren Kolonialzeiten erinnert. Und wenn man sich überlegt, dass man unter sklavenähnlichen Umständen lebt, dann sieht man, dass sich da eine Kluft aufgetan hat zwischen einem gigantischen technischen Fortschritt und einem sozialen Rückschritt.“

Die letzte Schlacht gewinnen wir

Die „Proletenpassion 2015 ff.“ untersucht in der Neuauflage eine klassisch linke Geschichtsauffassung aus einer postmarxistischen, zeitgenössischen Perspektive – und wagt am Ende keinen Ausblick, sondern eher eine Bestandsaufnahme der Gegenwart.
Doch lässt sich die Geschichte des Proletariats aus zeitgenössischer Sicht heute noch fortschreiben? Wann kommt denn nun die Revolution? Kommt sie überhaupt? Können wir die Geschichte noch immer als Abfolge von Klassenkämpfen lesen? Und Heinz R. Unger, was kann uns die Proletenpassion im Hier und Jetzt sagen?
„Was die Proletenpassion heute dazu sagen kann, ist nicht ‚Revolution, Revolution! Auf die Barrikaden!‘ – weil man ja nicht weiß, wie es danach weitergehen soll. Und weil man auch diesen gesamten globalen Prozess nicht überschauen kann von unserem heutigen Standpunkt aus. Aber was die Proletenpassion sagt, ist: ‚Widerstand, Widerstand‘ – im Sinne von Widerstehen gegen die Manipulation des eigenen Lebens.“

 

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