Oh, du mein Österreich! Da bist du ja wieder!

Jelinek.jpg
© Franz Hausner

Donnerstag-Demo gegen Schwarzblau ■ Ab 4. Oktober 2018 geht es wieder los mit den Protesten gegen die schwarzblaue österreichische Bundesregierung. Treffpunkt – wie schon Anfang der 2000er Jahre: der Wiener Ballhausplatz

Wieder literarisch mit von der Partie – quasi ein „Demoaufruf” der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek!


Der UHUDLA, als die älteste und rebellischste Straßenzeitung Österreichs, bringt den Text von Elfriede Jelinek und hofft auf wohlwollendes Einverständnis der widerständigsten Literatin im deutschen Sprachraum.
Da ich bereits in den 1970er Jahren des öfteren Elfriede Jelinek Gesellschaft teilen durfte, wollte ich sie nicht wegen urheberrechtlicher Textfreigabe belästigen. Das ist hoffentlich in ihrem Interesse, Martin Wachter, Anmerkung der Redaktion.

Foto © Franz Hausner Bildtext: 05.11.1980 Gerald Grassl (mit Tasche) wird von Sympatisanten ins Gefängnis begleitet. Mit Elfriede Jelinek (4. von links), der UHUDLA Chefredakteur Lutz Holzinger (rechts im Bild) und anderen.

 

Oh, du mein Österreich! Da bist du ja wieder!

Schon anläßlich der letzten rechts-rechten Regierung und der Proteste dagegen habe ich gesagt, daß ich nicht gedacht hätte, das, was ich immer schon gesagt habe (und was davon leider nicht besser wurde), noch einmal sagen zu müssen: Österreich — ein Land, das sich meldet, und auf diesem Meldezettel steht: Es ist wieder soweit, wir sind wir, und wir haben schon wieder diese Zeit, sie ist wieder da, und sie gehört uns, diesmal aber wirklich, diesmal hören wir nicht zu früh auf. Wir wiederholen uns, jedes Mal schlechter, wie unbegabte Schüler, die auch nach der fünfzigsten Wiederholung nicht erklären können, was sie eigentlich sagen möchten. Und was der Schüler der Geschichte wirklich meint (und der dort auch, der grade so eifrig aufzeigt), ist sowieso etwas ganz andres. Was der Schüler meint, das steht dahinter, es steht hinter ihm, es ist nicht dahingestellt, das ist gar nicht nötig, jeder versteht es auch so, jeder versteht, was sie meinen, wenn sie nichts sagen, und jeder versteht genauso, wenn sie zuviel sagen. Das kann dann jeder sagen. Ich hätte damals, 2000, nicht gedacht, daß ich das noch ein weiteres Mal hinschreiben würde. Ich bin den Körpern meiner Eltern entkrochen (entkommen bin ich ihnen leider nicht), welche — mein Vater war Mischling ersten Grades und mußte für die Nazis als Chemiker arbeiten, meine Mutter war mit einem gefälschten Ariernachweis unterwegs —, endlich, in höherem Alter, noch ein Kind haben wollten. Sie wollten unbedingt nachholen, was sie vorher nicht konnten, sich vervielfältigen, doch die andren waren mehr und haben mich nicht gebraucht und nicht gewollt. Da sie ja das alles nicht gewollt haben, warum sollten sie dann ausgerechnet mich wollen? Leider, ich wollte, sie hätten es nicht gewollt, meine Eltern, mich, das Kind. Das kann man von vielem behaupten: Erst wollten sie es nicht, dann nehmen sie es begeistert an. Ich bin nicht so gern da, muß aber bleiben, weil ich nicht wegkann, und da bin ich nun, den Nazis vielleicht von den Totenschaufeln gesprungen, vor der Geburt grade noch von der Schippe gehüpft, wie der Deutsche sagt, dann hinausgeschleudert ins Leben, das ich nicht verstehe, und jetzt stehe ich schon wieder da, hier, auf dem Bildschirm, steht auch was; ich wache wieder auf in einem kryptofaschistischen Land, das eine dazupassende Bewegung erzeugt hat. Es liegt in der Natur eines geheimgehaltenen Wertesystems, daß sich niemand offen dazu bekennt, aber alles es wissen, was?, keine Ahnung, aber das ist mir schon aufgefallen, ich gehöre jedoch nicht zu denen, die es wissen. Ich bin nicht geweiht, das sowieso nicht, und nicht eingeweiht. Dementsprechend ist der Nachweis von Kryptofaschismus schwierig bis unmöglich, entsprechende Anschuldigungen verlieren sich daher oft in Spekulationen bis hin zu Verschwörungsphantasien, nein, Theorien, sagt Wiki, welches ich eigens mit dem Fingerchen aufgerufen habe, von selbst kommt es ja nicht, von selbst kommt nichts. Und auch das Land wäre tot oder müßte sich bewegen, eins von beiden, also die Bewegung wäre jetzt da, bitteschön, wer hat sie bestellt? Wer? Sie ist plötzlich da, wie der Igel vor dem Hasen, und das Kryptische arbeitet sich immer weiter an die Oberfläche hinauf, die Erde ist ihm zu leicht gewesen, es will lieber Ernst und Schwere, kommt gleich, haben wir auch vorrätig; was sind schon Millionen Tote, wo doch wir da sind! Wir sind wieder da! Grüß Gott. Wie bequem, daß wir nie weg waren! Wir ersetzen, was vorher da war, wir sind das Entsatzheer, wir sprengen auf nagelneuen Polizeipferterln daher, denn die Erregbarkeit der Massen nimmt zu, da müssen wir aufpassen. Schaut doch gut aus, wie wir da oben sitzen, oder? Es macht uns auch größer. Die Dirndl-Außenministerin knickst, ass to the grass, sie macht ihr compliment, tiefer als es sogar vor der Queen üblich ist. Kompliment! Bis fast in den Boden hinein schraubt sie den Hintern vor einem blutigen Diktator und Usurpator, einem bedeutenden Hochzeitsgast, den sie eingeladen hat, einem Gast aus Rußland, was hat sich der einen abgefreut, daß er kommen durfte! Eine Einladung hatte er schon mal, die konnte ihm keiner nehmen. Ja, von so weit kommen sie zu uns, ist das nicht fein!, einem Gast, den man ehren muß, die tiefe Reverenz zu erweisen, so machen wir das mit allen unseren Gästen, wir sind das so gewohnt, die Walzer fliegen uns um die Ohren wie Schrapnellsplitter. Bei Ausländern passen wir ein bisserl auf, allerdings nicht bei allen. Nicht bei denen, die wieder gehen. Harmloser kann man nichts sagen, ich habe das nachgeschlagen und nichts Harmloseres gefunden. 
Die Menschen werden derweil bis zur Erschöpfung abgearbeitet, und dann hat man sie hinter sich, und schau!, die Bewegung ist ja immer noch da, die geht nicht mehr fort. Sie werden zutode gearbeitet, die Menschen, sagt man auf Englisch, wie ich hier nicht, nicht sie tun das, es wird mit ihnen, an ihnen getan, es wird ihnen angetan, sie verlieren sich in dieser endlos langen Arbeitszeit und finden sich irgendwann nicht mehr wieder, sie haben die 12. Stunde überzogen, jetzt schlägts 13, und sie sind weg, weil sie ins Bett müssen. Ihre Zeit ist eine einzige unbezahlte Überstunde, bis sie sich selbst überholt haben und umfallen, das Staffelholz, das sie übergeben sollten, sind sie selber, jeder darf sie in die Hand nehmen und auspressen. Das Kindergeld wird den Frauen gekürzt, die, während sie sich nach ihren eigenen Kindern zu Hause sehnen — hier in der Fremde, bei uns, wir sind hier daheim, die nicht! —, fremden Menschen den Arsch abwischen müssen, weil es sonst niemand tut. Sie tun, was getan werden muß. Ihre Kinder leben in Billigländern, die Frauen selbst sind zum Schleuderpreis zu haben, während anderswo die Geldwaschmaschinen rotieren bis sie rot glühende Trommelbäckchen haben. Warum nehmen wir diesen Frauen, die uns eh nur schlecht verstehen, nicht etwas davon weg?, es bleibt ihnen immer noch mehr als genug übrig, sie sind billig, und wo sie herkommen, ist es auch billig; wer soll für sie eintreten? Sie selbst dürfen für die Dreckarbeit hier antreten und aus und wieder raus. Sie dürfen für sich selbst eintreten, müssen dann aber wieder raus. Und, und, und so weiter.

Es ist oft beschrieben worden, wie das Straßenbild in Wien sich nach dem sogenannten Anschluß gewandelt hat: Dirndl und Lederhosen überall, sie beherrschten von einem Tag zum andern das Straßenbild, während ihre Hosen- und Schürzerlträger wiederum von anderen beherrscht wurden, was sie gar nicht gemerkt hatten. So mußten sie es sich irgendwann merken, da war es dann zu spät zum Vergessen, und sie mußten bitterlich weinen. Es war alles anders geworden, ländlich-unsittlich. Das Urbane war des Teufels. Ich höre die gutturale mundartliche Färbung in den leeren Reden des Innenministers, ich höre hohle Leere in den Reden des Bundeskanzlers, die er gar nicht erst halten muß, er sagt ja sowieso nichts, eine Sphinx ohne Geheimnis, die Sprechblasen absondert, in denen nichts drinnensteht, das sage ich Ihnen nur, falls Sie wissen wollen, was er gesagt hat. Nur er selbst steht unerschütterlich da und sagt etwas, das nichts ist, und glaubt an sich, Sie stehen auch zu ihm, glaube ich. Ich höre allerdings nichts, er spricht noch immer, nein, er sagt eh nichts, nur keine Sorge. Wie? Immer noch nichts. Der rotzfreche Graf sagt dafür umso mehr, der gehört zu den Geläufigen, die uns jetzt, sogar ohne Ämter, wenns sein muß, regieren, obwohl sie nichts zu tun haben, außer ihre Einkünfte anhäufeln, und sich dabei an uns abreagieren, ist doch ein schöner Sport. Die reden ununterbrochen, doch was sie sagen, sagen sie einem nicht. Jeder weiß es ja. Jeder weiß es auch so.

Man sollte meinen, wir hätten die Sprache verloren angesichts des Todes von Millionen Menschen, an dem wir natürlich nicht schuld waren, bitte, wie denn auch?, wir waren gar nicht da, wir sind zu jung, wir haben ein Alibi, wir sind ja nie an etwas schuld, daher können wir das doch einmal probieren, nur anders, diesmal ganz anders, es wird uns schon was einfallen. Wir werden in die ländlichen Volksfeste einfallen, wie die ganzen Ausländer, die wir hier nicht wollen, die trauen sich was!, wir trauen ihnen nicht, wir trauen uns mehr! Wir übernehmen ihre Arbeit und schlägern uns durch die Massen und schänden deutsche Mädel und Buben. Wir könnten es auch wieder mal mit der Schuld probieren, schau mal, die ist noch gar nicht sehr abgenützt, vielleicht steht sie uns ja, die Knöpfe gehen schon noch zu, zumindest wenn wir nicht zu sehr atmen; kaum einer lebt noch von denen, die damals die Original-Tracht getragen haben, doch das Vorbild bleibt, ein Vorbild bleibt immer gleich, es trägt stolz seine Hirschhornknöpfe und seine wie heißen die, die Zähne von so Tieren, das trägt man zur Tracht, es sind wenigstens nicht mehr die Zähne, die Häute von Menschen, immerhin. Ohne Vorbild: Wie sollte sonst die Nachwelt wissen, wonach sie sich richten muß? Die Schuld geben wir geläufig zu, die ist für uns kein Hindernis, ich habe allein dieses Jahr so viele Schuldbekenntnisse gehört, daß mir ganz schwindlig ist, und die Schuld wurde sogar anerkannt! Die Feiern waren feierlich, die Worte geläufig, die Lippen sitzen ihnen locker, bis sie wieder geschlossen werden, bis das Kapitel beendet ist und ein neues anfängt, das wird noch spannend. Die Schande schieben wir weg, wir werden schon jemand finden, der sie nimmt, Menschen schieben wir ab, falls sie es überhaupt lebend bis hierher schaffen. Ich schaue mir die neuen Gesichter an. Wo waren sie die ganze Zeit? Eh hier, weil sie zu uns gehören. Haben sie sich alle diese Lederhosen und Dirndln anmessen lassen, was für uns nur angemessen ist in diesem schönen Land, welches eigens fürs Salzkammergut erschaffen wurde? Wir sind niemand etwas schuldig, weil wir ja auch an nichts schuld sind.

Schon gut. Leute wie ich sollen endlich die Goschn halten, wir wissen eh, was die sagen, die sagen seit Jahrzehnten nichts andres, das kennen wir schon. Die schon wieder! Wir wissen eh, wer Sie sind, weiß wer, wo ihr Auto steht? So hab ich es gelesen, habe aber kein Auto. Und noch mehr habe ich gelesen: Die ertragen es nicht, daß jetzt andre dran sind, am Ruder. Wir werden ihnen schon zeigen, was alles möglich ist, wir werden ihnen den Herrn zeigen, dort drinnen sitzt er, in der goldenen Monstranz, woanders aber auch, wir sagen nicht, wo, stets bereit, gezeigt zu werden. Einer von uns. Die öffentliche Meinung ist jetzt ganz besonders öffentlich, dafür darf man in den Öffis nichts mehr essen. Sie macht sich breit, die Meinung, nicht mehr im Verborgenen, endlich frei, sie sagt sich frei heraus, sie verläßt sich drauf, daß jeder weiß, was gemeint ist, auch wenn sie es nicht sagt, sie schreit nicht mehr vor Wut, das ist nicht mehr nötig, sie spricht sich vor sich selbst aus, in stillem Einvernehmen, das immer lauter wird, ein anschwellendes Einvernehmen. Eine schwelgerische Einvernahme mit uns und mit sich selbst, da gewinnen wir immer. Und ich steh schon wieder da mit meinem gewaschenen Hals, doch die Feier ist abgesagt. Wir selbst wurden abgesagt, es folgt der Abgesang, und es folgt das, was die Öffentlichkeit froh als ihre Meinung ausgibt. Woher sie die wohl haben mag? Bitte schmeißen Sie dieses Papierl nicht weg, dort steht der Mistkübel, dort gehört es rein.
12.9.2018

Oh, du mein Österreich! Da bist du ja wieder! © 2018 Elfriede Jelinek

Oh, du mein Österreich! Da bist du ja wieder! Gelesen von Nikolaus Habjan
Das Video von Habjan mit Jelinek-Puppe auf Facebook

Ein Gedanke zu “Oh, du mein Österreich! Da bist du ja wieder!

Kommentar verfassen